Drei Farben für das 21. Jahrhundert – Wie Technologie, Nachhaltigkeit und Demographie die Zukunft formen
mit einer interaktiven Visuals-Maschine von Leander Herzog
Grün, Pink und Silber im SRF-Kulturtalk vom 12.1.2022
“Ältere Leute werden künftig mehr Macht haben”, SRF Portal, 14.1.22
Wer sich mit der Zukunft beschäftigt, stösst schnell auf drei Spannungsfelder mit einem Wirkungshorizont von über zwanzig Jahren. Neben der digitalen prägen die grüne und die demographische Transformation unsere Zukunft.
Die Metatrends beschreiben, wie sich unser Verhältnis zur Technologie (pink), zu Tieren und Pflanzen (grün) sowie zu Tod und Geburt (silber) verändern könnte. Alle drei Kräfte prägen unseren Alltag, die Entwicklung unserer Städte, den Konsum, die gesellschaftspolitischen Herausforderungen und Arbeitsplätze der Zukunft. Diese Kräfte sind nicht neu. Aber sie helfen, die Zukunft mit einem einfachen Modell mehrdimensional zu erkunden.
Technologie Pinke Zukünfte
Unsere Zukünfte sind pink, weil sich die analoge und digitale Realität durch neue Interfaces beziehungsweise durch neue Formen der Information und Unterhaltung noch mehr vermischen. Immer mehr Maschinen werden Teil unserer Gesellschaft und Arbeitswelten. Entsprechend wichtig sind unsere pinken Kompetenzen. Zu diesen Fähigkeiten, die uns von den Maschinen unterscheiden, gehören unsere Kreativität, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und unser Urteilsvermögen.
Auswahl an pinken Fakten und Prognosen
- Erwachsene Amerikaner waren schon vor der Pandemie täglich 6,5 Stunden online, etwa einen Drittel davon nutzten sie zur Interaktion mit anderen
- Heute entfällt erst 1 Prozent des jährlichen deutschen Arzneimittelumsatzes von 50 Milliarden Euro auf Online-Apotheken
- Apple ist als erstes börsennotiertes Unternehmen der Welt mindestens drei Billionen Dollar wert
- rtfkt verkaufte im Februar 2021 etwa 600 Paar digitale Turnschuhe – in 7 Minuten für 3,1 Millionen US-Dollar
- Ein Nutzer hat 450.000 US-Dollar für ein Grundstück in Sandbox bezahlt, um virtueller Nachbar von Snoop Dogg zu werden
- 18 Prozent der Bitcoins werden in Kasachstan geschürft, das ist Rang zwei hinter den USA (mit einen Drittel Marktanteil)
- Im ersten Halbjahr 2021 wurden dem Nationalen Zentrum für Cybersicherheit 10.234 Fälle von Cyberkriminalität gemeldet
- Die Starlink-Flotte umfasst mehr als 1600 Satelliten, in der finalen Ausbaustufe sollen es über 30 000 sein
- Die grössten Städte 2050 werden im Pearl River Delta, Dehli, Mumbai, Shanghai-Suzhou, Lagos, Dhaka und Jakarta erwartet
Nachhaltigkeit Grüne Zukünfte
Die Zukunft ist grün, weil wir intelligenter mit den Energien und Ressourcen des Planeten umgehen und die Folgen der Klimakrise bewältigen müssen. Zentrale Fragen der grünen Zukünfte betreffen unseren Umgang mit Tieren. Wie sollen und können wir uns ernähren – auf einem Planeten, dessen Bevölkerung noch ein paar Jahrzehnte wachsen wird? In der grünen Zukunft gilt es zu klären, welche Lebensräume wir Tieren zugestehen, wollen wir das Risiko von künftigen Pandemien reduzieren.
Auswahl an grüne Fakten und Prognosen
- In Sri Lanka starben in den vergangenen acht Jahren 20 Elefanten, weil sie das Plastik einer Mülldeponie frassen
- In Spanien wurden 2020 56 Millionen Schweine geschlachtet, in einem Land mit einer Bevölkerung von 47 Millionen
- die Bevölkerung Grönlands könnte von 60.000 auf sechs oder sechzig Millionen anschwellen
- 2050 sterben weltweit 10 Millionen Menschen pro Jahr aufgrund von Antibiotika-Resistenzen, bis zum 12. Januar 2022 starben 5.51 Millionen an Covid-19
- 77 Prozent der Sojaproduktion entfällt auf die Produktion von Tierfutter
- Die Hälfte aller Zoonosen zwischen 1940 und 2004 wird auf die moderne Landwirtschaft zurückgeführt
- In den ärmsten 52 Ländern beträgt die Covid-Impfquote 6 Prozent
- Das reichste Prozent der Welt produziert 15 Prozent aller CO₂ -Emissionen
- Doppelt so viele 15- bis 29-Jährige ernähren sich vegetarisch oder vegan, 70 Prozent von ihnen sind weiblich
- Wenn es 1 Grad wärmer wird, könnte es 200 Millionen Flüchtlinge geben, wird es 2 Grad wärmer könnte es 1 Milliarde sein
- In Indien kommen jeden Tag 40 Tonnen Altkleider aus dem Westen an
Demographie Silbrige Zukünfte
Die silbrige Transformation beschreibt, wie sich die demographische Struktur wandelt – durch Geburten, medizinische Fortschritte und Migration. Je nach Demographie setzt sich die Kundschaft der Unternehmen anders zusammen, hat die Gesellschaft einen anderen Bedarf an Infrastruktur und Gesundheitssystem. Der wichtigste Trend für Europa ist die Alterung. Viele von uns werden über 100 Jahre alt. Dabei verändert sich das Verhältnis von jungen und alten Menschen. In den nächsten Jahrzehnten gehört die gesellschaftliche und ökonomische Macht den ü65.
Auswahl an silbrigen Fakten und Erwartungen
- Die Lebenserwartung steigt in der Schweiz bis 2050 auf 87.2 bei Männern und 89.6 bei Frauen (heute 81 und 85.1), 2050 sind 2.67 Millionen Schweizerinnen und Schweizer über 65
- Zwischen 2018 und 2050 wird sich das Wachstum der 65-jährigen auf rund 70 Prozent belaufen
- In Deutschland ist schätzungsweise jeder Zehnte, bei weiter gefasster Definition, jeder Vierte ab 70 Jahren depressiv
- Deutschland rechnet mit 230.000 fehlenden Kita-Erziehenden und 300.000 fehlenden Pflegekräften in den kommenden Jahren
- Heute leben 59 Prozent der Menschen in Asien, 17.5 in Afrika, 9.5 in Europa
- Die Hälfte des globalen Bevölkerungswachstums bis 2050 entfällt auf neun Länder: Indien, Nigeria, Pakistan, Kongo-Kinshasa, Äthiopien, Tansania, Indonesien, Ägypten, USA
- In Niger und Burundi gebären die Frauen durchschnittlich über 6 Kinder – in Singapur sind es 0.82
- Indien wird China als bevölkerungsreichstes Land um das Jahr 2030 überholen
- Die Bevölkerung der Ukraine, von Lettland, Litauen und Bulgarien könnten um 20 Prozent kleiner werden
- 4 der 10 grössten Volkswirtschaften befinden sich in Asien, in China, Japan, Indien und Südkorea
- In nur 28 Tagen nach der Veröffentlichung wurde Squid Game knapp 142 Millionen Mal gestreamt
Spannung grün vs. pink vs. silbrig!
Für die Zukunftsforschung sind diese Kräfte durchaus interessant. Wirklich spannend sind aber die Kombinationen von grün, pink und silber sowie die Zielkonflikte, die sich durch die drei Kräfte ergeben. Im Spannungsfeld pink vs. grün fällt etwa der Rohstoffbedarf für Computer und Smartphones in Gewicht. Man flucht über Elektroschrott und sorgt sich um knappe seltene Erden, die häufig in Nicht-Demokratien abgebaut werden. Auch der Energiebedarf für das Schürfen von Kryptowährungen oder das Streaming wird diskutiert. Zum pinkgrünen Spannungsfeld gehört weiter das Begehren der Solutionisten, den Klimawandel mit Hilfe von Geo-Engineering aufzuhalten.
Im Spannungsfeld pink vs silber ist zu prüfen, welche Erwartungen ältere Menschen an die digitale Welt haben – an Interfaces, an Videospiele, an Webseiten. Die Vorstellung, alte Menschen seien Offliner, ist immer mehr ein Mythos. Wichtiger ist die Sorge um die Medienkompetenz oder die Anfälligkeit für Fakenews. Im pinksilbrigen Duell gibt es einen spannenden Widerspruch. Aufgrund ihrer längeren Konsum- (und Daten-!)geschichten mögen Jugendliche für Unternehmen und ihre Werbeplakate attraktiver sein. Allerdings hat die ältere Bevölkerung das viel grössere Vermögen, und vielleicht noch wichtiger: mehr Zeit. Zwischen den Generationen könnten dort Spannungen aufkommen, wo es um Investitionen in die digitale Infrastruktur und deren Verteidigung geht. Werden alte Menschen bereit sein, ihre Steuern in Projekte zu lenken, die erst nach ihrem Tod wirksam werden?
Schliesslich duellieren sich im Spannungsfeld silber vs. grün die Kräfte Nachhaltigkeit und demographischer Wandel. Je länger wir leben, desto mehr CO2 stossen wir über unser Leben hinweg aus. Kinder werden als grösste Klimasünde überhaupt bezeichnet. Doch je mehr der Westen schrumpft, desto mehr ist er auf Migration angewiesen, um seinen Fachkräftemangel zu lindern, in der Bildung, in der Pflege, in der IT. Für Spannung könnte zudem sorgen, dass ältere Menschen – Stand heute – im Vergleich zur Jugend weniger grün sensibilisiert sind. Auf Galaxus ist es jene Altersgruppe, die am wenigsten CO2 kompensiert. Es sind vor allem junge Frauen, die vegan leben.
Management pink, grün oder silbrig?
Unternehmen, die sich mit der Zukunft beschäftigen, sollten alle Metatrends und all deren Schnittmengen beleuchten. Disruptiv wird Innovation künftig nur dann sein, wenn sie mindestens zwei Farben abdeckt.
Wollen Managerinnen und Manager die Arbeitswelten ihrer Unternehmen für die Zukunft fit machen, werden sie im grünen Szenario in die Nachhaltigkeit und in die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeitsangebote investieren. Im pinken Szenario rücken die Unterschiede zu den Maschinen und damit etwa die Kreativität und das kritische Denken der Menschen in den Vordergrund. Schliesslich setzt die silbrige Zukunft voraus, sich mit der Energie der Mitarbeitenden zu beschäftigen.
Was braucht es damit wir über 40, 50 oder vielleicht sogar 60 Jahre hinweg interessiert und kreativ mitarbeiten wollen?