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Wie Tiere unsere Zukunft formen | Teil 1: Rollen


Animal Turn!

In kaum einer Managementtheorie spielen die Tiere eine prominente Rolle. Doch der Klimawandel, der Green New Deal und der zoonotische Hintergrund von Covid-19 könnten sie neu formatieren. Der “Aufstieg der Tiere” verändert dann die Entscheidungskriterien von Kundinnen, Mitarbeiterinnen, Aktionärinnen und Regulatorinnen. Wird er auch die Angebote, Geschäftsmodelle und -praktiken tangieren? Um nicht erneut von den Tieren überrascht zu werden, analysieren antizipierende Managerinnen die Chancen und Risiken des Animal Turns. Sie prüfen, ob die Kultur, Weiterbildungsangebote und Zusammensetzung der Entscheidungsgremien ihrer Unternehmen der neuen Perspektive standhalten.

Am Anfang der dreiteiligen Serie zum Aufstieg der Tiere stehen die Rollen, in denen Tiere unsere Zukunft gestalten. Sie sind wesentlich mehr als Futter der Menschentiere. Wer ihre Rollen kennt, wird präziser über die Risiken an den Schnittstellen der Lebenswelten von Mensch und Tier (Teil 2) sowie damit verbundene Innovationspotenziale nachdenken (Teil 3) – zum Beispiel in der Ernährung und Landwirtschaft oder der Unternehmensberatung.

Illustration von Eugen U. Fleckenstein


Rolle 1 Tiere als Rohstofflieferanten

Offensichtlich prägen die Tiere in ihrer Funktion als Rohstofflieferanten unsere Zukunft. Zu Nahrung verarbeitet, versorgen sie 95 Prozent der Bevölkerung mit Energie. Häute und Haare verarbeiten wir zu Rucksäcken, Kleidern und Schuhen. Im Schwein züchten wir Ersatzorgane. Es ist eine Rolle, die durch den Zulauf zum Veganismus unter Druck gerät. Argumente der Veganerinnen und Vegetarier sind Zoonosen infolge Massentierhaltung, das Leid durch artungerechte Haltung, das unnötige und leidvolle Töten, die gesunde fleischlose Ernährung. Ebenso argumentieren sie mit dem Ressourcenverbrauch und den CO2-Emissionen durch Fleischproduktion beziehungsweise der besseren Energieineffizienz pflanzlicher Ernährung. Tiere verbrauchen 90 Prozent ihrer Energie, um zu atmen, sich zu bewegen und sich zu vermehren. 85 Prozent der weltweiten Soja-Ernte wird zu Tierfutter verarbeitet. Doch nur einen kleinen Teil der gezüchteten Tierkörper nutzen wir konsequent. Immerhin düngen Bauern mit Exkrementen ihre Felder, manchmal stellt man aus Füssen und Sehnen Lehm und Gelatine her. Man könnte noch viel mehr mit dem vermeintlichen Abfall tun. In Sri-Lanka produziert man aus Elefanten-Kot Papier. Geschlachtete Tiere könnte man im Sinne der Nose to Tail-Bewegung besser verwerten. Schon heute essen manche Hühnerfüsse. Statt ihre Knochen zu verbrennen, könnten wir Daten darauf speichern, zusammen mit Eierschalen die Wolkenkratzer der Zukunft bauen.

Rolle 2 Tiere als Arbeitskräfte

Ebenso vertraut sind uns Tiere in ihrer Rolle als billige Arbeitskräfte. Schon lange prägen sie die Landwirtschaft. Sie schleppen, pflügen, transportieren. Schafe wirken gegen Unkraut, zum Beispiel gegen den stumpfblättrigen Ampfer. Fische fressen Algen, die Korallen bedrohen. Im Tausch gegen Süssigkeiten bestäuben Bienen und Hummeln die Blüten, während die Vögel Samen verbreiten. Die durch Covid-19 in Ungnade gefallenen Fledermäuse tun beides: Sie bestäuben, verteilen Erbgut und vertilgen erst noch Schädlinge. Tiere wandeln Materialien um, Würmer kompostieren Fruchtschalen, Käfer essen Dung und Aas. Auch andere Tiere sind in Upcycling-Kreisläufen engagiert. Die Seidenraupe frisst die Blätter des weissen Maulbeerbaums und verwandelt sie in Seide. Nach zehn Tagen töten die Züchter die Raupen mit heissem Wasser – in Asien verspeist man sie. Zibet-Katzen produzieren edle Kaffeebohnen. Gefressene Kaffeekirschen verdauen sie zu hochwertigem Lukaw-Kaffee. In London kostet ein Kännchen Kotkaffee stolze 50 Euro. Seit dem Preisanstieg hält man die Upcycling-Katzen in engen Käfigen. Sie gelten als Ursprung der 2002-SARS-Pandemie. Um Infektionskrankheiten in den Griff zu kriegen, könnten schnüffelnde Hunde helfen. An den Flughäfen von Dubai und Helsinki erkennen trainierte Vierbeiner Covid-19-Erkrankte. Wie genau sie das tun, “wisse man schlicht noch nicht”, aber die Trefferquote ist beeindruckend. “Nach sieben bis zehn Tagen Training konnten die Tiere unter mehr als 1000 Proben zu 94 Prozent Corona korrekt erkennen”.

Rolle 3 Tiere als unsere Gefährten

Tiere sind nicht nur Objekte, nicht nur anonyme Rohstofflieferanten und Arbeitskräfte. Sie sind unsere Freunde. Vor allem Katzen und Hunde leben so intensiv und nahe mit uns, wie unsere Partner und Kinder. In der Schweiz leben 1.7 Millionen Katzen, in jedem dritten Haushalt gibt es mindestens einen Stubentiger. In jedem achten Haushalt gibt es einen Hund, in jedem 33-ten ein Aquarium. Katzen wärmen uns, trocknen unsere Tränen. Sie warten, wenn wir nach Hause kommen, beurteilen uns nicht danach, ob wir gut aussehen, aus dem Maul stinken oder erfolgreich gepitcht haben. Besonders offensichtliche Gefährten sind Blindenhunde. Sehbeeinträchtigten helfen sie „selbstbewusster, mobiler und unabhängiger“ durch den Alltag zu gehen. Auch in psychotherapeutischen Settings kommen Tiere zum Einsatz. Ziel der tiergestützten Therapie ist es körperliche, kognitive und emotionale Funktionen wiederherzustellen und zu erhalten. Erfahrene Selbstwirksamkeit stärkt unser Selbstbild. Stress, Angst und Schmerzen werden abgebaut. Neben Hunden kommen Pferde, Lamas, Delphine und Fische zum Einsatz. Tiertherapeutische Studien weisen auf eine verbesserte Lebensqualität, höhere körperliche Aktivität und auf eine Linderung depressiver Symptome hin. Als aktive Beziehungspartner fördern Katze und Hunde Lebendigkeit, Spontanität und wirken konfliktmildernd. Besonders grosse Effekte sind bei „Autismus-Spektrum-Störungen“ zu beobachten. Auch in Gefängnissen sind sie präsent. Sie bieten soziales Training, lehren Verantwortung zu übernehmen, lenken das Gespräch auf sich.

Rolle 4 Tiere als Wissenslieferanten

Eine vierte Rolle, in der Tiere unsere Zukunft prägen, ist jene der Informationslieferanten. Es ist eine alte Rolle, berücksichtigt man das Wissen, das uns Frösche, Affen, Schweine, Nagetiere und viele mehr in mitunter schrecklichen Experimenten seit Jahrhunderten liefern. Im Trend ist die Bionik. Sie verlangt, dass sich der technische Fortschritt an natürlichen Bau- und Designprinzipien orientiert. Zum Beispiel spielt im Deichbau die Wabenstruktur eine wichtige Rolle. Mercedes hat im Januar 2020 ein bionisches Auto präsentiert. Es basiert auf einer Batterie mit organischer Zellchemie. Sie ist kompostierbar, frei von seltenen Erden und Metallen. Der bionische Mercedes kann im seitlichen Krebsgang fahren und hat reptilienartige Schuppen auf seinem Rücken. Auch Schwärme liefern Wissen – zum Beispiel um das Verhalten wütender Menschengruppen zu antizipieren. In den Publikationen der Trendforscherinnen häufen sich Berichte zu Biohacking. Baupläne und einzelne Gene der Tiere werden auf Maschinen, Pflanzen und unsere Körper übertragen. Mit der Biolumineszenz von Tiefseefischen und Glühwürmchen will man Bäume in der Nacht als natürliche Strassenlampen zum Leuchten bringen. Pilze, eigentlich weder Tier noch Pflanze, liefern weitere Erkenntnisse, insbesondere über Netzwerke – und damit die Mobilität, Computer und Städte der Zukunft. Schleimpilze zeigen, wie wir U-Bahn-Netzwerke bauen sollten. Gelingt es uns, digital mit den Pilzen zu kommunizieren, gewinnen wir sensible Wächter unserer Ökosysteme. Satelliten, die aus dem All die Tiere beobachten, liefern weitere Informationen. Sie dokumentieren die Migration oder Dezimierung von Beständen, etwa von Murmeltieren, Pinguinen oder Vögeln. Dabei gilt, dass Tiere vermutlich sensibler und schneller als wir auf Umweltveränderungen reagieren - und so zum Beispiel Wasserknappheit vorzeitig sichtbar machen.

Eine letzte wichtige Rolle der Tiere für unsere Zukunft liegt in der Verbindung von Ökosystemen. Sie tun dies zunächst durch Nahrungsketten. Man frisst und wird gefressen. Insekten stehen auf dem Speisezettel von Mäusen, diese werden von Schlangen gefressen – und dienen wiederum Raubvögeln als Nahrungsquelle. Als verbindende Elemente von Ökosystemen wirken Tiere auch, wenn sie Samen und Sporen verteilen. Eichhörnchen verstecken jährlich bis zu 3000 Nüssen und Samen. Weil sie nur einen Drittel davon finden, sorgen sie für die Wiederaufforstung des Waldes. Tiere transportieren dadurch auch die genetische Grundlagen für das künftige Leben, aber ebenso streuen und teilen sie Informationen. Fische tauschen sich über “soziale Netzwerke” zu Futterplätzen und Gefahren aus. Vögel spielen Securitas für Nashörner. Gleichermassen horten die Tiere als Wirte die Baupläne von Krankheiten – und übertragen diese von einem Tier zum nächsten. Zwingen sie uns dadurch unfreiwillig zu innovieren? Fledermäuse und Nagetiere scheinen mit einem überdurchschnittlichen Immunsystem ausgestattet und deshalb ein besonders gutes Reservoir für gefährliche Erreger beziehungsweise die Pandemien der Zukunft zu sein. Sie wechseln über die Zeit ihre Lebensräume, auch weil sie von uns Menschen zur Migration genötigt werden. Wandern sie klimabedingt oder als blinde Passagiere menschlicher Transportsysteme in neue Ökosysteme ein, kann es zu Verteilungskämpfen kommen. In den USA sind Silberkarpfen ein Problem. Einst aus China importiert, um Algen zu tilgen, bedrohen sie nun einheimische Muscheln und Fische.


Fazit Animal Turn in einigen Branchen

Die fünf Rollen der Tiere machen zwei Punkte deutlich. Einerseits sollten Futuristen aufhören, Zukunft nur aus Sicht der Menschen zu denken. Wir sind nicht die einzigen Lebewesen, die sie hervorbringen. Unsere Zukunft ändert sich,

Den Aufstieg der Tiere ernst zu nehmen, heisst für verschiedene Unternehmen ganz unterschiedlich zu reagieren:


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