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Wie Tiere unsere Zukunft formen | Teil 3: Innovation

Der letzte Teil der Serie zum Animal Turn denkt positiv – und nimmt die Innovationssicht ein. Im ersten Teil wurde über die Rollen der Tiere in unserer Zukunft nachgedacht. Anschliessend beleuchtete der zweite Teil Risiken, die uns drohen, wenn wir den Fledermäusen, Kühen, Hühnern & Co. zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Wo aber schafft der Animal Turn neue Märkte und soziale Innovation? Welche Start-Ups wären sinnvoll und wie könnte die Sorge um die Tiere unternehmerische Prozesse wandeln?

Illustration von Eugen U. Fleckenstein


Innovationscluster 1 Neue Beraterinnen

Den Tieren mehr Aufmerksamkeit zu schenken, heisst ihre Sinne und Fähigkeiten zu nutzen, die unseren überlegen sind. Sie spüren das Magnetfeld der Erde wahr, sehen Wärme, hören für uns nicht wahrnehmbare Geräusche, reagieren auf feinste Wasserwirbel. Der Elefantenrüsselfisch und das Schnabeltier können den Boden elektronisch abtasten. Europäische Aale haben einen herausragenden Geruchssinn. Sie schmecken einen Tropfen Parfum im dreifachen Volumen des Bodensees. Grubenottern wiederum registrieren Temperaturveränderungen von gerade mal 0.003 Grad Celsius. Zitteraale reagieren auf elektrische Felder. Früher als der Mensch erkennen Tiere, wenn sich die Biodiversität oder das Klima verändert. Wer sie beobachtet, kann antizipieren, wie Menschen künftig migrieren werden. Um an dieses Wissen zu kommen, könnten wir ein paar Tiere ans Internet der Dinge anschliessen – oder noch besser: sie in Ruhe lassen und mittels Satellitenbilder studieren. Schon länger bekannt sind die Versprechen der Bionik, um zum Beispiel von Insekten zu lernen, um ressourcenintelligente Autos, Gebäude oder Organisationen bauen. Sie lehren uns natürliche Medikamente und Reinigungsmittel herzustellen.

Wer den Tieren mehr Bedeutung schenkt, denkt Unternehmensprozesse neu, zum Beispiel die Produkt- und Organisationsentwicklung. Das schafft Märkte für jene, die beraten, vermessen, kontrollieren und mit Labels versehen. Angebote und Prozesse werden re-designt, um die Risiken an den Schnittstellen der Lebenswelten von Mensch und Tier zu minimieren. Sie ersetzen zum Beispiel Tierversuche durch Computersimulationen. Animal-Turn-Beraterinnen helfen, die Zukunftsmärkte zu erschliessen. In der Schweiz gibt es 2.6 Prozent Veganerinnen, 5.8 Prozent Vegetarierinnen und 20.5 Prozent Flexitarierinnen, die regelmässig auf Fleisch verzichten. Ist es naiv zu glauben, dass Tiere Unternehmenskulturen verändern? Wenn Mitarbeitenden sich um die Bienen auf dem Flachdach kümmern, eine Katze aus dem Tierheim adoptieren, Hühner im Innenhof halten, einen angeschlagenen Igel überwintern. Aus HR-Sicht stellt sich die Frage, welche Kompetenzen es braucht, um als Gewinner des Animal Turns hervorzugehen. Wer ihn ernst nimmt, wird Fähigkeiten aus der Landwirtschaft und Veterinärmedizin, aus den Umwelt- und Materialwissenschaften rekrutieren.


Innovationscluster 2 Neue Lebensmittel

Um neue Zoonosen zu verhindern, sind Innovationen in der Ernährung, in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft gefragt. Wollen wir die Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien verringern, wäre es ohne Zweifel sinnvoll, uns regionaler, saisonaler und veganer zu ernähren. Wir sollten keine Sojabohnen importieren, weil die Bepflanzung von Soja häufig mit der Rodung von Wäldern einhergeht, die wiederum als natürliches Schutzschild gegen Infektionskrankheiten dienen. Nur 19 Prozent der Sojaproduktion erfolgt für Menschen, 77 Prozent des Anbaus dient der Produktion von Tierfutter. Andere Innovationen könnten den Abbau von Monokulturen umfassen, die Biodiversität fördern und den Bauernhof neu denken – zum Beispiel mitten in der Stadt oder als von der Crowd betriebene Genossenschaft. Zu den Innovationen in der Landwirtschaft gehören Fleischalternativen. Sie sind zoonoselos – und reduzieren nebenbei den Co2-Ausstoss, den Land- und Wasserverbrauch. Durch neue Proteinquellen müssen weniger Tiere leiden und sterben. Weltweit werden jährlich 66,6 Milliarden Hühner, 657 Millionen Gänse, 304 Millionen Rinder geschlachtet. Hamburger und Würste könnte man durch Vleisch ersetzen – aus Pilzen, Soja, Weizen und Hülsenfrüchten. Das tiergerechte Leder der Zukunft ist aus Pilzfäden und Ananas-Fasern.

Milchalternativen sind für die Schweiz durchaus relevant. Käse- und Schoggi sind identitätswirksame Exportprodukte. 2019 führte sie immerhin für 0.7 Milliarden Schweizerfranken Käse und für 1.3 Milliarden Schoggi aus.

Die gaiakompatiblen Nahrungsmittel der Zukunft umfassen Insekten – zum Beispiel Kaviar von Ameiseneiern oder die Larven der männlichen Honigbienen, die Tonnenweise im Abfall landen. Auch Quallen – ohne Herz, Gehirn und Blut – könnten uns ernähren. Selbstverständlich kann man sich darüber streiten kann, ab wann ein Tier ein Tier ist. Hafermilch könnte Kuhmilch ersetzen. Sie verursacht 13-mal weniger Wasser, 3-mal weniger CO2-Ausstösse. Bereits jetzt wird der Wert des schwedischen Haferdrink-Hersteller Oatly auf 10 Milliarden geschätzt. Milchalternativen sind ein Trend, der für die Schweiz durchaus relevant ist, Käse- und Schoggi sind identitätswirksame Exportprodukte. 2019 führte sie immerhin für 0.7 Milliarden Schweizerfranken Käse und für 1.3 Milliarden Schweizerfranken Schoggi aus. Es gibt spannende Schweizer Pioniere: New Roots stellt “Käse” aus Cashewkernen her, Wild Foods “Lachs” aus Karotten. Wollen sich nicht alle vegan ernähren, ist Laborfleisch unvermeidlich. 2013 kostete ein zellgewachsener Burger 250 000 Euro, 2021 soll er für 9 Euro erhältlich sein. Natürlich im herkömmlichen Sinne sind diese Produkte nicht. Es steckt viel Technologie und oftmals viel Chemie drin. Auch deshalb rechnen Expertinnen mit einem dreigeteilten Fleischmarkt der Zukunft – mit 40 Prozent Schlachtfleisch, 35 Prozent kultivierten und 25 Prozent veganen Fleischersatzprodukten.


Innovationscluster 3 Neue Bauernhöfe

Durch den Animal Turn könnten neue Stadtbauernhöfe entstehen – in unseren Innenhöfen, durch aufeinander abgestimmte Schrebergärten. Wir könnten gemeinsam Hühnerställe und Fischfarmen in unseren Quartieren betreiben, noch mehr Insektenhotels, Bienenstöcke und Überwinterungskästen für Igel aufstellen. Um das Interesse an pflanzlicher Ernährung zu stärken, bietet es sich an, alte und seltene Arten neu zu vermarkten. Dazu geeignete Foodblogs und Profile auf Instagram gibt es ja genug, auch Kochbücher boomen. Würde es den Animal Turn unterstützen, wenn wir den Beruf der Bäuerin digital und urban neu erfinden? In Liverpool tüftelt die Farm Urban seit 2014 an unterirdischen Produktionsstandorten für Gemüse. Die Pflanzen werden mit LED-Horticulture-Lighting ernährt. Im Vergleich zum Sonnenlicht ist der Energieverbrauch natürlich höher, der Wasserverbrauch soll aber 70 Prozent tiefer liegen. Zudem nimmt der vertikale Anbau von Gemüse weniger Platz ein. In Zürich arbeitet Umami an einem Indoor-Ökosystem mit Fischen, Garnelen, Schnecken, Muscheln und Pilzen. Das Microgreens-Start-up verkauft bereits Pflänzchen mit hoch konzentrierten ätherischen Ölen, Vitaminen, Proteinen und Mineralstoffen. Befindet sich die Landwirtschaft vor unserer Haustüre, wird Crowdfarming denkbar. Als Crowd bezahlen wir gemeinsam die auf dem Bauernhof anfallende Arbeit und werden im Gegenzug an der Ernte beteiligt.

Schon heute kann man zusammen eine Kuh oder ein Schaf halten oder einem Huhn ein etwas längeres Leben ermöglichen. Ein normales Poulet lebt gerade mal 32 Tage. Vegetarier*innen werden sich eher dafür interessieren, einen Apfelbaum oder ein Sonnenblumenfeld zu teilen. Vielleicht leisten wir auf dem Hof Freiwilligenarbeit. Auch in der Logistik ist Hightech gefragt. Verpackungen sollten wir sorglos auf den Kompost werfen können. Wie das Altpapier sollte unser Altplastik wöchentlich vor der Haustüre abgeholt werden, recyclingsperrige Mischmaterialien verschwinden. Eine digital hochgerüstete Landwirtschaft lässt eine Fülle von Innovationen erahnen. Beim Smart Farming packen Drohnen, selbstfahrende Traktoren, Mäh- und Unkrautroboter auf dem Hof mit an. Das soll nicht zum Selbstzweck passieren, sondern zum Beispiel, um Wasser- und Düngerverbrauch zu minimieren. Drohnen und das Internet der Dinge überwachen Boden- und Pflanzenwohl rund um die Uhr. Eine digitale Landwirtschaft vermeidet tote Küken. In Deutschland schreddert man jährlich 45 Millionen männliche Hühnerbabys. Innovatoren wollen deshalb das Kückengeschlecht im Ei so früh wie möglich erkennen. Ohne Hightech braucht es Menschen, die den Hähnen in ihrem Garten ein Leben schenken – und so dafür die Schnecken fernhalten.


Innovationscluster 4 Neuer Infektionsschutz

Um neue Zoonosen zu verhindern, brauchen wir ein ausgeklügeltes Monitoring. Es prüft durch Abstriche in Zügen und Diskotheken, welche bioviralen Gefahren in Umlauf kommen. Wichtige Hinweise liefert auch das Abwasser. Durch tägliche Proben lässt sich nicht nur der Verlauf von Epidemien überprüfen beziehungsweise ein paar Tage vorhersehen. Wasseranalysen erlauben es darüber hinaus standortbasiert Massnahmen zu treffen – zum Beispiel die Bestellung und Verteilung von Schutzmaterial, der Aufbau Testkapazitäten, die Kontrolle von Verhaltensmassnahmen. Auch um anthropozänischer Rückstände zu überprüfen, sind Abwasseranalysen hilfreich. Sie verraten, wie stark Drogen in einer Gesellschaft zirkulieren und welche Medikamentenrückstände uns belasten. Zur Kontrolle künftiger Pandemien könnten Testgeräte in unseren Toiletten gehören. Über Nacht werden jeweils die neusten Analyseprogramme für unsere Körperflüssigkeiten geladen. Eine Rakete von Elon Musk brachte ein solches Mini-Labor in der Weltall, Hersteller ist die Schweizer One Drop Diagnostics. Auch Satelliten liefern wichtiges Wissen für unseren Infektionsschutz. Sie überwachen Fledermauspopulationen, Brände und Rodungen der Regenwälder. Von weit oben erkennen fliegenden Roboter Dürren, die Migration von Tieren, Krankheiten von Pflanzen oder wenn sich Wasserverläufe ändern. Doch selbst ein ausgeklügeltes Cockpit verhindert nicht, dass gefährliche Erreger überspringen.

Wichtiger ist die nachhaltige Prävention – und damit unser Verhältnis zu Tieren. Innovation könnte heissen, intelligenter und nachhaltiger mit Wissensbeständen und Daten umzugehen. Was bringt das gesellschaftliche Wissensmanagement aufs nächste Level? Nachhaltige Prävention läuft auch über erhaltene (Ur)Wälder als natürlichen Infektionsschutz. Sie schaffen Distanz von Mensch und Tier und binden eine Menge CO2. Wir könnten Jägerinnen zu Controllerinnen umschulen. Statt Wildtiere zu töten, entnehmen sie ihnen für das Pandemie-Monitoring Blutproben. So haben sie trotz Verzicht auf Bushmeat weiterhin ein Einkommen – aber eines, das für die Menschheit viel weniger gefährlich ist. Um die Vielfalt der Arten zu pflegen und gleichzeitig unseren natürlichen Infektionsschutz zu stärken, sollten wir vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tierarten kultivieren. Wenn wir in Samen- und Gendatenbanken investieren, kuratieren wir unsere Vergangenheit für unsere Zukunft. Vielfalt ist eine gute Strategie um uns darauf vorzubereiten, wenn der Klimawandel die Anbau- und Lebensbedingungen unserer Pflanzen, Tiere, Pilze und Insekten verändert haben wird. Der natürliche Schutz umfasst die Sorge für und das Erforschen von Insekten. Es gibt mehr Marienkäfer als Säugetiere und mehr Rüsselkäfer als Fischarten. Ohne Insekten gibt es keine Bestäubung und geraten die natürlichen Fressketten ausser Kontrolle. Statt Chemie könnten wir Insekten zur Schädlingsbekämpfung einsetzen.


Samenarchiv in Spitzbergen, [Global Crop Diversity Trust](https://www.flickr.com/photos/croptrust/26882616361)
Samenarchiv in Spitzbergen, Global Crop Diversity Trust

Innovationscluster 5 Neue Friedhöfe

Den Tieren mehr Beachtung zu schenken, könnte schliesslich heissen, Friedhöfe neu zu denken. Schon heute kann man seiner Katze die friedliche letzte Ruhe gönnen – zum Beispiel im Tierhimmel bei Emmenbrücke. Eine Beisetzung kostet im Einzelgrab 490 CHF, der Pachtzins pro Jahr 150 CHF. Die teure letzte Ruhe für unsere Haustiere ist Teil der eingesetzten Petriearchie. Im Zeitalter der Haustiere verdienen Unternehmen Milliarden an ihren Halter*innen - gerade an den Millenials. Man geht mit der Katze zur Dentalhygiene und lässt das getreidehaltige billige Futter im Regal stehen. Ihre Friedhöfe könnte man als Ökosysteme denken, welche die Biodiversität fördern und Fledermäusen Rückzugsorte bieten. Dazu wäre es sinnvoll, die Parkanlagen der Toten mit insektenfreundlichen Blumen zu bepflanzen und tote Bäume als Schlafquartiere stehen lassen. Um die toten Tiere als Infektionsschutz zu nutzen, sollten wir ihre Körper regelmässig auf Krankheiten und Medikamentenrückständen geprüft werden. Tierleichen sind nicht nur Wissensquellen, sie sind auch Ressource. Wie können wir sie noch besser nutzen und ihr Biomaterial statt zu verbrennen zurück in den Kreislauf bringen? Kühe und Wale werden gesprengt, um ihre kostbaren Nährstoffe für Aasfresser einfacher zugänglich zu machen. Viele kosmetische Produkte von Cremes bis Shampoos enthalten Abfälle aus dem Schlachthaus.

Die teure letzte Ruhe für unsere Haustiere ist Teil der eingesetzten Petriearchie. Unternehmen verdienen Milliarden an ihnen Halter*innen - gerade an den Millenials.

Das mag Vegetarier*innen nicht gefallen. Anderseits: wenn ein Tier für uns Menschen schon sterben muss, sollten wir dann nicht wenigstens alles von seinem Körper verwerten, was wir irgendwie gebrauchen können? Auch unseren Tod könnten wir neu erfinden, auch der Mensch ist ein Tier. Viele von uns verzichten mittlerweile auf ein klassisches Grab. Aus Sicht der Natur ist es besser, unsere Körper als Dünger (durch Abgabe von Phosphor, Zink und Eisen) zu vergraben als einfach zu verbrennen. Unsere Knochen und Zähne sind ebenfalls Biomaterial, das man statt verbrennen, weiterverarbeiten könnte. Unsere Friedhöfe könnten wir als Orte der Meditation und als Treffpunkte des Erinnerns neu erfinden. Sinnvollerweise nutzen wir die Flächen mehrfach, die Grenze von Leben und Tod könnten wir fluider denken. In Berlin wurden Friedhöfe zu Gemüsegärten für die Urban Farming Community umfunktioniert. Auf den Zähnen von Verstorbenen könnten wir Daten speichern, mit unserem Kot Papier und Kompost herstellen oder in Kombination mit Eierschalen, Knochen und Zunderschwamm-Pilzen Wolkenkratzer bauen. Weil unsere Abfälle das Anthropozän belasten, sollten wir Pilze oder Bakterien suchen, die unsere Mikroplastik verwandeln – zum Beispiel in Algen.


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