Antikörper - Innovation neu denken
Noch nie haben wir so viel über Innovation gesprochen – und doch verändert sich so wenig. Jetzt, wo die Viren die Welt zum Stillstand brachten und die Verletzlichkeiten unserer Zivilisation aufdecken, können wir Innovation zirkulär neu entdecken. Intertemporal verbindet sie Zukunft und Vergangenheit, interanimalisch Mensch und Tier, interelementar Rohstoff und Abfall, interdisziplinär die wissenschaftlichen Disziplinen.
Video von Milan Friedlos
Antikörper in den Medien
über echte und Placebo-Innovationen"
Swisscom Podcast, 7. Februar 2022
Im Innovationsgefängnis
NZZ, 20. November 2021
"Wir müssen uns fragen, wieso es Covid gibt"
SonntagsBlick, 2. Mai 2021
"Wir alle tragen eine Mitschuld am Ausbruch"
Der Bund, 20. Januar 2021
Nächster Halt: die ganze Welt
kolt, 11. Februar 2021
Raus aus dem Gegenwartsgefängnis!
Bilanz, 26. Februar 2021
Wie Innovation nachhaltiger gestaltet werden kann
Post Blog, 21. April 2021
Die Literatur zu Antikörper
Du findest hier sämtliche Quellen, auf die im Buch verwiesen wird. Im Sinne des temporalen Angriffs in Tenet kannst du das Buch auch rückwärts lesen, durch die Quellen surfen und prüfen, ob du den Gang durchs Labyrinth mit denselben Erkenntnissen abschliesst.
Zusammenfassung der ökonomischen Aspekte
Auf Linked-In habe ich die wichtigsten ökonomischen Aspekte von “Antikörper” für Manager*innen zusammengefasst. Sie umfassen sieben Punkte:
1 Statt mit Megatrends (einem Konzept aus den 1980er-Jahren) könnten wir die Zukunft durch virale Entwicklungen erklären. Infekte bedrohen unsere Körper, aber auch unsere Medien, Unternehmen und Maschinen. Anders als Megatrends beinhalten Infekte die Möglichkeit einer Trendumkehr. Nicht nur Menschen lösen sie aus. Auch Tiere, Pflanzen, Pilze oder eben Viren machen Zukunft. Infekte mutieren: Zum Beispiel, wenn wie bei Covid-19 ein körperlicher Infekt zu einem wirtschaftlichen und medialen Problem wird. Zukunft ist das, was die Infekte anrichten sowie unsere Versuche diese abzuschwächen oder wie im Falle von viralen Hits zu verstärken.
2 Die Stärkung des gesellschaftlichen Immunsystems schafft attraktive Märkte. Wir erleben, wie anfällig unsere Zivilisation für Infekte unserer Körper, Medien, Unternehmen und Computer ist. Hygiene-Innovationen dürften noch lange relevant bleiben. Nachhaltiger wirkt der Animal-Turn. Er verlangt, die Rechte und Fähigkeiten der Tiere ernst zu nehmen. Ein veganerer Planet scheint langfristig unvermeidlich – um die Schäden des Klimawandels zu mindern und neue Zoonosen zu unterdrücken. Der Vegan-Trend ist auch für die symbolkräftigen Schoggi und Käse-Exporte wichtig. Es geht um Megamärkte. Der Wert des Haferdrinks Oatly wird schon jetzt auf 10 Milliarden geschätzt.
3 Management heisst, das betriebliche Immunsystem zu stärken. Infektiöse Gefahren für Unternehmen treten beispielsweise in der Form von Cyberrisiken auf, durch negative Emotionen im Betrieb, eine Kettenreaktion bei Kündigungen oder durch die Angst, seine Meinung nicht äussern zu können. Auch wenn Unternehmen auf die falschen Trends oder keinen genügend guten Fluss an frischen Informationen sicherstellen, drohen Gefahren, die sich ins Gewebe der Organisation einfressen. Ein wirksamer Schutz gegen betriebliche Infekte ist Diversität. Hinter der „Diveristätskeule“ versteckt sich eine furchtbar einfache, aber wirtschaftlich relevante Gleichung: Wer unterschiedliche Perspektiven im Risiko- und Innovationsmanagement einnehmen kann, deckt mehr Zukünfte ab.
4 Zirkularität ist die zu den Clusterfucks des 21. Jahrhunderts passende Innovationsmaxime. Sie umfasst mehr als die Kreislaufwirtschaft, die Abfälle als Ressourcen versteht und das Verbrennen von Biomaterial (Verpackungen, Knochen, Plastik aller Art) um jeden Preis verhindern will. Zirkuläre Innovation verknüpft zudem Mensch, Tier und Maschine (zum Beispiel durch den Respekt der Biodiversität oder das Nutzen spezifischer Stärken von Mensch, Tier und Maschine). Sie vernetzt Datenquellen und wissenschaftliche Disziplinen. Vor allem aber verbindet sie Vergangenheit und Zukunft. Zirkuläre Innovation verlangt die Geschichte von Innovationen aufzuarbeiten und die Folgewirkungen des Neuen schon im Moment des Erfindens zu antizipieren.
5 Die Vergangenheit ist eine Ressource, die Unternehmen noch wenig nutzen. Wir alle richten uns energisch an der Zukunft aus. Für Innovationen, die vor 15, 50 oder 150 Jahren wegdiskutiert und nicht realisiert wurden, interessieren wir uns kaum. Was aber wenn frühere Diskurse plötzlich wieder eine Rolle spielen? Man könnte zum Beispiel fragen, wie sich die Menschen früher ernährt, vor Krankheiten geschützt, vor Stress bewahrt oder sich die Zukunft der Mobilität, der Kommunikation und der Ernährung vorgestellt haben. Dieses Wissen liegt – wie Erkenntnisse über die Zukunft – nicht einfach herum. Unternehmen müssen es sich erarbeiten – durch Recherchen, durch Lesen, durch die Besuche von Archiven, durch das Anstellen von Historiker*innen, und ja, durch Fantasie.
6 Zeitreisen sind eine ungenutzte Technik der Organisationsentwicklung. Sie verlangen, die Mitarbeitenden auf Reisen in vergessene Vergangenheiten und ferne Zukünfte zu schicken. Sie finden nicht nur in Europa statt, sie sind global. Zeitreisen kann man ganz simpel anbieten, indem man Mitarbeitenden Lerntage schenkt, um sich in anderen Zeiträumen umzusehen, Science Fiction zu lesen oder Dokumentarfilme zu studieren. Sollen die individuellen Zeitreisen dem unternehmerischen Kollektiv zugutekommen, braucht es Transfer-Formate, analoge und digitale Reiseberichte. Genauso könnte man Vergangenheit und Zukunft durch Datenvisualisierungen oder durch inversives Theater im Innenhof und auf den Gängen zum Leben erwecken. Man könnte virtuelle Spielewelten entwickeln, in denen die Mitarbeitenden andere Zeiträume entdecken.
7 Nicht Lockdown sind das ökonomische Problem, sondern fehlende Agilität. Es gibt wenig Angebote, die nicht pandemiekonform verkauft werden könnten – und diese wenigen Ausnahmen sollten staatlich entschädigt werden. Angebote, die neu erfunden werden könnten, sind Shopping (in eLäden), Vorträge (als Online Konferenz), Restaurantbesuche (als Delivery Service), die Psychotherapie (als Zoom-Meeting) und das Museum (als Online-Besichtigung). Natürlich ist das Erlebnis nicht dasselbe, aber darum geht es nicht. Es geht darum, Bedürfnisse neu zu befriedigen, die Geschäftsmodelle zu flexibilisieren beziehungsweise anzupassen - und vor allem darum mit bestehenden Netzwerken, Ressourcen, Fähigkeiten und Daten neue Erträge zu generieren. Die Pandemie stärkt Innovator*innen und Unternehmen, die sich seit Jahren an hoher Qualität orientieren.
8 Jede Innovation wird irgendwann zum Problem. Das erste Gefahrenpotenzial besteht darin, dass Innovationen zu Nebenwirkungen führen, die nicht oder nur ungenügend berücksichtigt wurden. Vielleicht wurden sie auch bewusst verdrängt oder konnten im Moment der Einführung nicht vollständig antizipiert werden (wie Superbugs in Folge zu häufig, auch in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika). Das zweite Gefahrenpotenzial ist unauffälliger aber vielleicht gefährlicher. Es besteht darin, dass das Festhalten an alter Innovation («Neue Technologien» wie Fax und Auto, Ertragsmodelle, Menschenbilder) das Neue behindert. Auch das, was wir jetzt als innovativ feiern, wird irgendwann zum Problem. Das Dümmste was Unternehmen also jetzt tun können, ist abzuwarten. Denn früher oder später werden ihre heutigen Produkte, Prozesse und Weltbilder zu Stolpersteinen.