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Chinakompetenz

Fähigkeiten für das asiatische Zeitalter

Digitale Kompetenz reicht nicht für die Zukunft Seit einiger Zeit richtet sich die strategische Personalplanung an der digitalen Transformation aus. Man diagnostiziert einen Skillshift hin zu den Fähigkeiten, die den Maschinen verwehrt bleiben. Mitarbeitende sollen initiativ, kreativ, selbstreflektiert sein und mit ihren Gefühlen umgehen können. Ebenso wichtig sind jene Fähigkeiten, die nötig sind, um in der neuen Arbeitswelt zu bestehen. Weitet man den Blick, entdeckt man jenseits der Digitalisierung weitere Kompetenzen, die erforderlich sind, um mit der Zukunft mitzuhalten oder gar zu gestalten. Hintergrund sind die parallel verlaufenden Megatrends – der demografische Wandel, die biologische Revolution sowie die ökologische Wende. Eine fünfte grosse Veränderung ist das asiatische Zeitalter, die Verschiebung des wirtschaftlichen und geopolitischen Gravitationszentrums in Richtung Asien. Zweifellos gehen die wichtigsten Veränderungen momentan von China aus. Obwohl dies seit langem bekannt ist, gibt es kaum ein CAS in China-Kompetenz, Transformationsprogramme mit China Fokus hat auch niemand.

Diese Ignoranz ist schade, für Unternehmen mit internationalen Wertschöpfungsketten und Märkten sogar gefährlich. Kaum an einem anderen Ort nimmt man gegenwärtig so grosse Schritte in Richtung Zukunft. Darüber hinaus beeinflusst der erwachende Riese die ökonomische und logistische Entwicklung der Länder der (neuen) Seidenstrassen – zum Beispiel in Kasachstan, Usbekistan und Pakistan. Neue Infrastruktur schaff neue Märkte – durch wohlhabendere Mittelschichten, Transitverkehr und Tourismus. Hochgeschwindigkeitszüge werden Westeuropa und China so eng wie nie in der Geschichte der Menschheit verbinden. Die Dynamik zeigt sich in Zahlen: Zwei Drittel der Megastädte des Planeten befinden sich in Asien. Neben der chinesischen Volkswirtschaft wachsen jene von Indien, Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Indien und Malaysia. Ebenso dominiert China den globalen Innovationsdiskurs, sind doch zahlreiche Einhörner dort beheimatet. Letztes Jahr wurde alle 3.8 Tage ein neues geboren.

Illustration von Karsten Petrat

Elemente der Chinakompetenz

Je skalierbarer, technologieintensiver, internationaler und innovativer das Geschäftsmodell eines Unternehmens, desto wichtiger wird das Verständnis für diese Entwicklungen. Nicht nur sind diese Unternehmen stärker von chinesischer Konkurrenz bedroht als andere, für sie locken auch neue Märkte. Chinakompetenz setzt sich aus Fachwissen (Wissen über China) und Haltungen (Umgang mit China) zusammen. Beides scheint nötig, um von der Verschiebung des globalen Zentrums nicht überrannt zu werden beziehungsweise die neuen Möglichkeiten frühzeitig zu erkennen. Dabei gewinnt die Beobachtung an Bedeutung, dass wir uns wohlmöglich in einem neuen Kalten Krieg befinden. Das heisst auch: Wer sich vorschnell von Klischees und anti-chinesischer Propaganda blenden lässt, wird es schwerfallen, sich auf das asiatische Zeitalter einzustellen. Ebenso wichtig wie Neugierde ist die Lust, sich auf das Unbekannte einzulassen. Etwas genauer betrachtet, setzt sich Chinakompetenz aus sechs Elementen zusammen:

Chinakompetenz heisst zu verfolgen, welche neue Technologien sich in der Volksrepublik durchsetzen.

Im Moment (das Veränderungstempo ist hoch) geht es um Gesichtserkennung, mobiles Bezahlen, Voice-Computing, Crispr, KI, QR-Codes und RFID-Anwendungen (z.B. in Tickets). Wer nach Osten blickt, sieht, welche „Use Cases“ dort im Alltag funktionieren. Ebenso erkennt man frühzeitig Diffusionshürden und soziale Nebenwirkungen neuer Technologien. Asien adoptiert Innovation gegenwärtig deutlich schneller als wir – auch weil die Systeme stärker top down und im Falle von China staatskapitalistisch designt sind. Offensichtlich ist man hier stolz, technologiefreundlicher und zukunftsoptimistischer als wir in Europa.

Wer auf einer wirtschaftlichen Ebene mit China Schritt halten will, sollte dessen Einhörner aktiv beobachten.

Viele der potenziell disruptiv wirkenden und mit Milliarden bewerteten Startups kommen aus den USA, doch die Dichte in China ist ebenso beachtlich. Unicorn-Hotspots sind Beijing, Shanghai, Hangzhou, Shenzhen und Guangzhou. Chinesische Einhörner haben einen starken KI-Fokus. Es erstaunt deshalb nicht, dass der chinesische Staat kräftig investiert. Die Einhörner fordern aber auch etablierte Player in alten Branchen heraus, zum Beispiel will Luckin Coffee den Marktführer Starbucks überholen. Wer die Einhörner studiert, erkennt mögliche Technologien, Geschäftsmodelle und Konkurrenten der Zukunft.

Um Chinakompetenz zu entwickeln, ist der Blick in die Zukunft ebenso wertvoll wie der in die Vergangenheit.

Wer die Absichten, die Verhaltensweisen, Prioritäten und den Stolz des erwachenden Riesens verstehen lernen will, sollte deshalb den Blick in die Geschichtsbücher wagen. Weil Rohstoffe auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar bleiben, ist für das Antizipieren langfristiger Entwicklungen auch eine gewisse Geografiekompetenz hilfreich. Sie hilft zu verstehen, welche Länder durch welche Bodenschätze und ihre Lage an Bedeutung gewinnen könnten. Mehr als 90% der für die Digitalwirtschaft zentralen seltenen Erden kommen aus China – ein möglicher Trumpf im aktuellen Handelsstreit.

Chinakompetenz heisst weiter, die Bedeutung von Leap Frogging zu erkennen und zu antizipieren.

Wer in seiner Entwicklung zurückliegt, kann durch radikale Innovation ganze Epochen überspringen, veraltete Denkmodelle und Technologien spielerisch leicht zurücklassen. So kann man in China kaum mit Kreditkarten bezahlen, dafür ist das mobile Bezahlen sehr verbreitet. Ähnliche Muster zeigen sich im öffentlichen Verkehr. Das Netzwerk der Hochgeschwindigkeitszüge ist eindrücklich. In der ökologischen Wende sind ähnliche Froschsprünge zu erwarten. Das Konzept des Leap Frogging wird bisher noch wenig auf Unternehmen übertragen, gewinnt aber umso mehr an Bedeutung, je mehr diese mit Rattenschwanztechnologien kämpfen (Auto, Fax, Bargeld).

Viele Mitarbeitende ermüden in der Auseinandersetzung mit dem Digitalen

Chinakompetenz verlangt Beschleunigung und mit anderen Unternehmen gemeinsam zu lernen.

Westliche Demokratien sind auch deshalb durch die Innovationskraft Chinas herausgefordert, weil die chinesische Regierung das Veränderungstempo durch zentrale Steuerung relativ autoritär erhöht. Will Europa weder zum globalen Museum werden noch zu staatskapitalistischen Methoden greifen – und sich so gut wie möglich aus dem Handelskonflikt zwischen den USA und China heraushalten, drängt sich die Stärkung der B2B Sharing Economy auf. Chinakompetenz bedingt zu erkennen, mit wem man kooperieren will, um gemeinsam schneller zu lernen. Durch das Teilen von Daten entstehen neue Erkenntnisse, durch das Teilen von Maschinen spart man Kosten, durch unternehmensübergreifende Entwicklungswege zieht man Talente an.

Chinakompetenz heisst weiter, die eigene Unternehmenskultur im Hinblick auf Mut, Neugierde und die positive Wahrnehmung der Zukunft zu hinterfragen.

Ganz im Gegensatz zur chinesischen Dynamik ist die Stimmung bei uns zurzeit von Angst, Missmut und Pessimismus geprägt. Gewiss ist der chinesische Fortschrittswille nicht schattenfrei, insbesondere wenn er negative ökologische und soziale Konsequenzen hat. Doch je mehr sich Europa in düsteren Szenarien suhlt, desto mehr wird es durch eine Art erlernter Hilflosigkeit von den globalen Designprozessen der Zukunft ausgeschlossen. So betrachtet ist es die europäische Aufgabe, alternative Zukünfte und soziale Innovationen durch neue Technologien zu entwickeln.

Chinakompetenz heisst schliesslich, die Entwicklungen in der Volksrepublik kritisch zu hinterfragen.

Gemeint sind der Umgang mit Minderheiten, die Art der Technologie- und Wirtschaftssteuerung sowie das Demokratiedesign. Will Europa nicht machtlos von technologischen und wirtschaftlichen Fakten überrollt werden, braucht es Alternativem zum Plattformkapitalismus der Amerikaner und dem Staatskapitalismus der Chinesen. Gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit, soziale Integration, wechselseitige Transparenz und Datenschutz könnte Europa eine globale Vorreiterrolle einnehmen. Nur zu verbieten, wird uns nicht helfen, vielmehr sind mutige Entwürfe gefragt, die unsere Errungenschaften und Eigenarten mit den Vorzügen und Eigenheiten neuer Technologien kombinieren.

Was verlangt der Aufbau von Chinakompetenz von HR?

Viele politische, wirtschaftliche und gesellschaftlichen Veränderungen nehmen gegenwärtig in Asien ihren Anfang. Will HR in Bezug auf Transformation und Skill-Management eine gestaltende Rolle einnehmen, wird es Zeit, die Zukunft mehr als digital zu denken. Die thematische Verschiebung ist auch deshalb angezeigt, weil viele Mitarbeitende in der Auseinandersetzung mit dem Digitalen ermüden. Warum also nicht Weiterbildungsformaten und Change-Aktivitäten mit Fokus China aufsetzen? Wer chinakompetent sein will, müsste zudem die entsprechenden Kompetenzen rekrutieren und mittels Outposts die dazugehörigen Netzwerke aufzubauen. Wer vor Ort ist, erlebt hautnah, was passiert, kann vor Ort Protoptypen mit neuen Technologien bauen und insgesamt schneller reagieren.

Unabhängig vom Aufbau einer Chinakompetenz, lohnt es sich, die Wahrnehmung der Zukunft im Unternehmen zu prüfen. Auf neue Technologien, Konkurrenten und Denkmodelle reagieren zu können, verlangt eine offene Kultur. Ist diese geprägt von Angst oder Neugierde, dominieren positive oder negativ Gefühle, nimmt man sich als aktiv oder passiv in deren Gestaltung wahr? Auch wenn es darum geht, Verwaltungsräte und Topmanagement auszuwählen und weiterzubilden, könnte man vermehrt beim Megatrend des asiatischen Zeitalters ansetzen.

Wo also beginnen? Vielleicht lohnt es sich den nächsten Urlaub in China zu verbringen…


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