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Disruption - Die HR-Perspektive

Studie 13 der Wissensfabrik | Juli 2015
Zusammenfassung in HR-Today

Einleitung: Disruption ist überall

Ganz offensichtlich haben die Manager, Beraterinnen und Beobachter ein neues Lieblingswort. Keine Sitzung vergeht mehr ohne Verweis auf Disruption, keine Marktoffensive lässt die Disruption aus, kein Feuilleton, das ohne Disruption auskommt. Der alte Liebling „Innovation“ hat ausgedient. Es braucht einen kraftvolleren Ausdruck, um die gewaltigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu beschreiben.

Offensichtlich haben die Manager und Beraterinnen ein neues Lieblingswort: Keine Sitzung vergeht mehr ohne Verweis auf Disruption.

Disruption (vom englischen disrupt) steht stellvertretend für das Unterbrechen, Stören und Auseinanderbrechen der Märkte erfolgreicher Unternehmen. Sicher geglaubte Gewinne lösen sich auf, Margen bröckeln, neue Wettbewerber bedrohen die bisherigen Vorteile und Gleichgewichte. Meist sind die neuen Spielregeln auf die digitale Transformation zurückführen. Damit ist auch klar, dass kein Unternehmen und keine Branche vor Disruption geschützt ist.

Noch zu selten werden die Folgen der Disruption aus der Innensicht eines Unternehmens reflektiert. Das ist überraschend, ist doch Disruption nicht nur ein Thema der Forschung, Entwicklung und des Marketings – sondern vielleicht noch mehr ein Thema der Gestaltung von Arbeitswelten, des Change Managements, der Informatik und des HRM. Letztlich entscheiden die ressourcenorientierten Abteilungen über die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens.

Misslingt Unternehmen der innere Veränderungsprozess, werden sie die fehlende Anpassungsfähigkeit in naher Zukunft teuer bezahlen. Das Unterschätzen der Disruption erzwingt mittelfristig einen umfassenden Abbau von Arbeitsplätzen und hohe Akquisitionskosten – von Mitarbeitenden und Start Ups, die der Disruption gewachsen sind. Diese Kosten werden sich nur finanzkräftige Unternehmen leisten können. Alle anderen sind zur Disruption ihrer Innenwelt aufgerufen.

Ursprünge der Disruption

Märkte geraten in Bewegung, wenn Kunden neue Bedürfnisse entwickeln oder neue Möglichkeiten entstehen, um diese zu befriedigen. Damit sind neue Produkte genauso gemeint wie neue Produktionsmethoden, Innovationen in der Organisation der Arbeit oder ein Umdenken in Führung und Management. Ob die Bedürfnisse oder die neuen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung zuerst kommen, ist ebenso unklar, wie die Reihenfolge von Huhn und Ei.

Versucht man die Ursachen veränderter Märkte etwas einzugrenzen, stösst man auf fünf konkrete Veränderungen:

Veränderte Zukunftsaussichten Es treten neue Ängste, Risiken und neue Hoffnungen auf, die uns als Gesellschaft prägen (geopolitische Konflikte, Krankheiten, neue Rohstoffe, wissenschaftliche Erkenntnisse).

Knappe Rohstoffen Materielle oder immaterielle Ressourcen werden knapp, das bedroht die Produktion und insgesamt den Fortschritt (z.B. seltene Erden, Energieknappheit aber auch der (lokale) Mangel an Fachkräften).

Neue Datenträger Daten werden auf neue Art und Weise gespeichert. CDs haben Disketten ersetzt, nun lagern wird unsere Daten in Clouds. In Zukunft könnten dezentrale Speichersysteme die heutigen Clouds ersetzen.

Supermediäre statt Intermediäre Digitale Plattformen treten an die Stelle von Intermediären. Die Gewinner sichern sich den Zugang zu den Kunden und deren Daten (Facebook, Uber, Booking.com). Es kommt zu einem Wettbewerb der Plattformen, the Winner takes it all.

Crowds statt Experten Altgediente Experten werden durch Communities und Crowds verdrängt, Zentralisierende Institutionen werden durch das Konzept der Dezentralisierung bedrängt (zum Beispiel im Banking, in der Versicherungswirtschaft, bei den Medien oder in der Wissenschaft).

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wodurch die Disruption tatsächlich ausgelöst wird. Am langfristigsten argumentieren die Kondratjew-Zyklen, die wirtschaftliche Prosperität durch das Aufkommen einer neuen Schlüsseltechnologie erklären. Gegenwärtig erleben wir als Folge der Effizienz der Informationstechnologie einen makro-ökonomischen Abschwung. Als nächster Zyklus werden „die holistische Gesundheit“, die Nano- und Biotechnologie, Cleantech bzw. Energieeffizienz, Big Data bzw. künstliche Intelligenz sowie die Robotik gehandelt. All diesen Vorschlägen ist gemein, dass der Mensch vermehrt als Designer beziehungsweise Schöpfer seiner (künstlichen) Umwelt auftritt und sich diese durch eine immer höhere Vernetzung auszeichnet.

Auf einerkonkreteren Ebene werden Zukunfts- und Trendforscher nicht müde, die neusten Trends zu verkünden. Bei näherer Betrachtung zeichnen sich diese durch Wiederholungen aus. Megatrends haben die Form von mehr oder weniger gesichertem Wissen, für das die einzelnen Trendforscher aber im Hinblick auf ihre Vermarktung eigene Begriffe verwenden. Zu den allgemeingültigen Megatrends gehören z.B. die Globalisierung, die Individualisierung, die Urbanisierung oder der demographische Wandel. Ebenso akzeptiert sind die entsprechenden Gegentrends.

Aus technologischer Sicht verdichtet sich die potenzielle Disruption in der Form von Technologien, die sich vor dem Durchbruch befinden. Besondere Fortschritte werden in der Nuklear-, Nano-, Bio- und Informationstechnologie, sowie in den Neurowissenschaften erwartet. Zudem geht man davon aus, dass die genannten Technologien stärker zusammenwachsen. Technologien werden nicht von heute auf morgen erfunden und auch nicht sofort markt- oder gesellschaftsfähig. Weil deren Durchsetzung einem langsamen Reifeprozess gleicht, sind sie technologische Veränderungen lange vor ihrem Durchbruch sichtbar.

(Markt-)Folgen der Disruption

Unbekannt sind freilich die Auswirkung der Trends und der entgegenlaufenden Gegentrends. Unternehmen sind herausgefordert, sehr genau zu beobachten, was sich verändert und darüber hinaus zu bewerten, welche Veränderungen für das eigene Geschäft relevant sind. Insbesondere sind sie aufgefordert, sich in der Matrix von Trend und Gegentrend zu positionieren sowie Chancen und Risiken möglicher Veränderungen zu antizipieren. Je grösser ein Unternehmen, desto mehr ist es nicht nur „Opfer“ von Entwicklungen, sondern kann diese durch Forschung und Entwicklung bewusst vorantreiben. Trends verweisen also immer auch auf die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens.

Unternehmen sind aufgefordert, sich in der Matrix von Trend und Gegentrend zu positionieren sowie Chancen und Risiken möglicher Veränderungen zu antizipieren.

Schon Schumpeter, wusste, dass sich die Entwicklung der Märkte durch eine endlose Erneuerung auszeichnet und das Schöpfung und Zerstörung Hand in Hand gehen. Mit seinem Konzept der schöpferischen Zerstörung ist er so etwas wie der Urvater der Disruption. In seinem Klassiker unterscheidet er fünf Fälle, bei denen die Aktivität eines Unternehmens Märkte radikal verändert:

Die fünf Fälle verweisen auf Gestaltungsmöglichkeiten des Unternehmens, beschreiben aber gleichermassen Gefahren für alle Unternehmen, die den Veränderungen passiv aufgesetzt sind. Wer die Disruption nicht selbst auslöst, sieht sich mit einem erhöhten Veränderungsdruck konfrontiert. Die Notwendigkeit zur Veränderung manifestiert sich in vier Dimensionen:

Erhöhte Veränderungswahrscheinlichkeit und -geschwindigkeit Die Digitalisierung verläuft exponentiell, gewinnt also laufend an Geschwindigkeit und Wirkung. Das erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass man von Disruption betroffen ist, sondern auch die Geschwindigkeit mit der man sich anpassen muss.

Sinkende Markteintrittsbarrieren Durch die Digitalisierung sinken die Hürden für neue Wettbewerber. Der Zugang zu den Kunden und die Verbreitung von neuen Geschäftsmodellen ist durch das Internet viel einfacher geworden. Zudem macht die Globalisierung sämtliche Wettbewerbe global. Neue Wettbewerber geniessen Vorteile, weil sie weniger bürokratisch, weniger politisch und weniger risikoscheu sind.

Plattform-Kapitalismus Je mehr sich Märkte ins Internet verlagern, desto mehr ergibt sich ein Wettbewerb der Plattformen. Unternehmen interagieren statt über Intermediäre direkt mit ihren Kunden. Auf der Plattform werden möglichst viele Dienstleistungen integriert, es kommt zu (globalen) Winner Takes it All-Effekten.

Intensivierter Wettbewerb Produktionskosten sinken, weil digitale Prozesse trotz beträchtlichem Initialaufwand u.a. aufgrund tieferen Personalkosten billiger als analoge sind. Die Vergleichbarkeit erhöht den Druck auf die Margen zusätzlich. Das führt zu einem intensivierten Wettbewerb nicht nur zwischen den Unternehmen, sondern auch zwischen den Mitarbeitenden und den Abteilungen, die um knappe Budgets konkurrieren.

Die Veränderungen können, müssen aber nicht durch bisherige Konkurrenten aus derselben Branche ausgelöst werden. Im Gegenteil verstärkt die Digitalisierung die Konkurrenz durch Branchenfremde. Überhaupt stellt sich die Frage, ob das Konzept der Branche ausgedient hat. Google, Facebook und Microsoft haben Banken-Lizenzen, Uber mischt den Taximarkt auf, AirBnb konkurriert mit den Hotels um den Verkauf von Logiernächten.

Antizipation der Disruption

Um sich vor disruptiven Umbrüchen zu schützen, prüfen Unternehmen fortlaufend, ob sie von Veränderungen betroffen sind (passive Disruption) oder diese selbst provozieren wollen (aktive Disruption). Dazu muss man nicht zum Wahrsager werden. Es reicht, die Rolle der Forscherin oder der Statistikerin einzunehmen. Wahrscheinlichkeiten lassen sich schätzen, wobei in der Gegenwart die Geschichten, die man über die Zukunft erzählt, wichtiger sind als die Fakten, die man einst über die Zukunft dokumentieren wird.

Auf der Produktionsseite sind es kleine Unternehmen, die beginnen die bisherige Wertschöpfung auf neue Art und Weise zu erstellen. Marktseitig breitet sich das Neue zuerst in Nischenmärkten (bei Freaks, Nerds Experten und Randgruppen) aus – bevor es im Sinne eines „Big Bangs“ den ganzen Markt verändert. PCs und Handys waren einst etwas für Tekkies und Dandys, heute haben wir alle eins. Die Theorie spricht von neugierigen, technologie-affinen, mutigen Lead Usern oder Early Adoptern, die der Masse vorausgehen. Sie haben Bedürfnisse oder schätzen Eigenschaften eines Produktes, die der Massenmarkt noch nicht kennt oder wertschätzt

In diesem Sinne ist es durchaus denkbar, dass Kunden in Zukunft Produkte wertschätzen, die sich gerade durch weniger Technologie beziehungsweise weniger Maschinen im Produktionsprozess auszeichnen. Die Kundengruppe der Offliner gewichtet Aspekte wie Nachhaltigkeit, Entschleunigung, Regionalität oder Anonymität stärker als ein technologisches Update. Der menschliche Kontakt spielt hier eine wesentliche Rolle. Bedürfnisse die im Kundenkontakt weniger Technologie voraussetzen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass hinter der Kulissen aufgrund hoher Konkurrenz bzw. tiefen Margen mehr Technologie eingesetzt werden muss.

Damit Unternehmen den Veränderungen nicht schonungslos ausgesetzt sind und sich gegenüber Konkurrenten einen Vorteil erarbeiten können, versuchen sie die Suche nach disruptiven Veränderungen zu institutionalisieren. Im Vordergrund stehen die folgenden Massnahmen:

Disruptionstaugliche Arbeitsumgebungen

Disruption wird häufig als Thema der Produkt- und Marktentwicklung abgetan. Dabei ist offensichtlich, dass es Veränderungen in der Innenwelt eines Unternehmens braucht, soll dieses mit seiner Aussenwelt kompatibel sein. Die Komplexität bzw. die Hypervernetzung der Aussenwelt muss sich in der Innenwelt widerspiegeln. Damit sind neben Aufbauorganisation auch Möbel, IT und Managementinstrumente gemeint. Um eine hohe Veränderungsfähigkeit sicherstellen, scheinen fünf Merkmale der zukünftigen Arbeitswelt besonders relevant:

Mensch/Maschinen-Symbiosen Durch die Digitalisierung setzt sich die Belegschaft eines Unternehmens vermehrt aus Maschinen zusammen. Neben Automaten, Robotern und Drohnen geht es um Algorithmen, die Informationen filtern, bewerten, imagesisieren und dadurch Entscheidungen vorbereiten. Für das Management wird es wichtiger zu entscheiden, wo man auf Maschinen und wo auf Menschen setzt. Dabei geht weniger um das Entweder-Oder als viel mehr um das Zusammenspiel. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine wird zum zentralen Erfolgsfaktor.

Hypervernetzung Die heutige Gesellschaft ist ökonomisch, technisch und sozial hochgradig vernetzt. Um dieser Vernetzung zu begegnen, braucht es auch in der Organisation eine ausgeprägte Vernetzung. Je vernetzter ein Unternehmen, desto weniger kann man zwischen innen und aussen, unten und oben oder verschiedenen Abteilungen unterscheiden. Für die Entfaltung der Hypervernetzung braucht es entsprechende Räumlichkeiten, eine herausragende IT, eine Kultur der Offenheit, die Bereitschaft Wissen und Erfahrungen zu teilen sowie neuartige Arbeitsverhältnisse mit externen Mitarbeitenden, Kunden, Beratern und Selbstständigen.

Die Komplexität beziehungsweise die Hypervernetzung der Aussenwelt muss sich in der Innenwelt des Unternehmens widerspiegeln.

Skill-Shift Die hohe Wahrscheinlichkeit disruptiver Veränderungen sowie die immer stärkere Digitalisierung sämtlicher Arbeits- und Lebensbereiche prägen die Kompetenzen, die für ein Unternehmen von strategischer Bedeutung sind. Mit dem digitalen Reifeprozess gewinnen IT-Fähigkeit, insbesondere das Programmieren sowie Statistik und Informationsimagesisierung an Bedeutung. Um nicht von Veränderungen überrascht zu werden, braucht es neugierige Mitarbeitende, die kritische Fragen stellen. Selbstkompetenz – das heisst Selbstreflexion, Selbstvertrauen, Selbstorganisation und Selbstinszenierung – ist die Schlüsselkompetenzen der digitalen Ökonomie.

Pull Leadership In einem Umfeld der hohen Veränderungsgeschwindigkeit und einer neuen Rolle des Menschen im unternehmerischen Wertschöpfungsprozess ist ein Wandel der Führungskultur unumgänglich. Führungskräfte gleichen DJs, die den Unternehmensalltag orchestrieren und die Stimmung positiv beeinflussen. Sie kehren situativ in das Publikum zurück und haben kein Problem damit, ihren Platz im Mittelpunkt jemandem kompetenteren zu überlassen. Pull-Leadership verzichtet darauf, Ideen und Ziele in die Köpfe der Mitarbeitenden zu pressen. Vielmehr versteht sich eine Pull-Leaderin darauf, die besten Ideen aus ihrem Team zu gewinnen.

Digital Diversity Je digitaler die Welt, desto stärker vervielfältigen sich die digitalen Lebensstile. Neben Hyperdigitalen, die sehr technikaffin sind, die neusten Gadgets ausprobieren und die sozialen Medien sehr aktiv nutzen, gibt es andere, die sich den digitalen Lebensstil nicht aufzwingen wollen. Gerade für grosse Unternehmen ist eine Diversität von digitalen Lebensstilen erstrebenswerter als eine digitale Monokultur. Digitale Diversität hilft, die Märkte für On- und Offliner zu erkennen, den internen Transformationsprozess aus unterschiedlichen Perspektiven zu reflektieren und eine digitale Kluft in der Belegschaft zu vermeiden.

Disruption des HRM

Der digitale Transformationsprozess verändert unsere Vorstellungen von einem wirkungsvollen HRM. Man kann sich die Frage stellen, ob das Klima der Disruption nicht nur neue Aufgaben für HR schafft, sondern zu einer eigentlichen Disruption des HRM und damit der Personalabteilung führt. Wie das Unternehmen selbst, sieht sich auch HR als „Unternehmen im Unternehmen“ durch die Disruption mit einer veränderten Ausgangslage konfrontiert. Im Vordergrund stehen nicht mehr die Prozesse oder der einzelne Mitarbeiter sondern die Arbeitsumgebung, in denen sich Mitarbeitende als (menschlich-technologisches) Netzwerk entwickeln:

Steigender Teil der Belegschaft sind Maschinen: Immer mehr Wertschöpfung eines Unternehmens wird durch Maschinen erledigt. Menschen brauchen Maschinen, um Wertschöpfung zu erbringen, Maschinen brauchen Menschen um sich weiterzuentwickeln.

Wechselnde Zusammensetzung der Belegschaft: Durch den veränderten Arbeitsethos der Generation Y sowie durch die Ablösung der Hierarchie durch Projekte als primäre Organisationslogik, haben Teams kaum noch über längere Zeit bestand. Dasselbe gilt für die Organisation als ganzes, die immer schneller reorganisiert wird.

HR as a Service: Die Services von HR werden zunehmend über Technologie angeboten. Dabei werden immer mehr Dienstleistungen entweder durch Maschinen erledigt (Bewertung von Bewerbungen), an die Linie oder an die Mitarbeitenden delegiert (Verwaltung Stammdaten, Ferieneingabe, Wissensmanagement).

Darüber hinaus ist HR als Unternehmen im Unternehmen genauso wie jedes andere wirtschaftliche Objekt durch die Folgen der Disruption betroffen (vgl. Kapitel 2). Die Digitalisierung hat einen exponentiellen Verlauf. Die erhöhte Veränderungsrate gilt natürlich auch für die Innenwelt. Auch die anderen Folgen der Disruption (sinkende Eintrittsbarrieren für andere Abteilungen) und intensivierter Plattformwettbewerb setzen HR unter Druck.

Diese Veränderungen verstärken die Notwendigkeit des Wandels, der von HR seit vielen Jahren verlangt wird. Doch was braucht es im HR für Massnahmen, damit es zu einem aktiven Gestalter im Kontext der Disruption werden kann?

Währungen statt Prozesse: Um strategischer zu agieren, braucht es einen grundlegenden Wechsel der Perspektive. HRM sollte sich statt um Prozesse um Währungen kümmern. Die zentralen HR-Währungen heissen Daten, Wissen, Innovation, Veränderungsfähigkeit, Netzwerke, Engagement und Gesundheit. Durch die Orientierung an Währungen gelingt es die Bedürfnisse des Unternehmens bzw. des Konzerns besser zu befriedigen.

Nähe von HR zu Business: Um Disruption begleiten oder sogar aktiv auslösen zu können, braucht HR ein tiefgreifendes Verständnis für das eigentliche Geschäft des Betriebs. Dabei genügt es nicht, die heutigen Stärken und Schwächen des Unternehmens beziehungsweise die Erwartungen seiner Anspruchsgruppen zu kennen. HR braucht Kenntnisse über die Kräfte, die das Business verändern und über die Herausforderungen der Zukunft.

Nähe zu IT: Menschen und Maschinen können als Arbeitskräfte immer weniger voneinander getrennt werden. Ohne IT können Wissensarbeiterinnen keine Wertschöpfung mehr erbringen, genauso entwickeln sich die Maschinen ohne Menschen nicht weiter. Wollen Unternehmen ihre Kernressourcen integriert und zukunftstauglich weiterentwickeln, ist eine Annäherung von HR und IT unumgänglich.

Skillshift in HR selbst: Der Skillshift des Unternehmens betrifft auch das Skillset in HR. Wie in der gesamten Organisation braucht es auch im HR komplexere Fähigkeiten, mehr Statistik-Kenntnisse und mehr IT-Wissen. Darüber hinaus braucht es auch im HR, zum Beispiel in der Rekrutierung, mehr Diversität. Gleichzeitig ist ein Abbau von Profilen zu erwarten, die sich um (repetitive) Arbeitsschritte kümmern, die nicht mehr nötig sind bzw. an Maschinen delegiert werden können.

Re-Branding von HR: Will HR den digitalen Wandel aktiv begleiten, braucht es ein Re-Branding. HR muss als businesskompetent, interdisziplinär, strategisch, trendy und technikaffin wahrgenommen werden. Fehlen diese Zuschreibungen, werden weder das Management noch die Linie, noch die Mitarbeitenden HR als relevanten Player in der digitalen Transformation wahrnehmen. Das aber wäre für HR der endgültige Gang in die Bedeutungslosigkeit.

Diese Veränderungen ziehen neue Geschäfts- und Organisationsmodelle im HR nach sich. Wandelt sich die Organisation zum Netzwerk, wird sich auch HR zum Netzwerk entwickeln. Externe Know-How-Träger werden integriert, innerhalb von HR findet eine Spezialisierung der Profile bei gleichzeitiger Vernetzung der Mitarbeitenden statt. Um disruptionstauglich zu sein, sollte auch HR vermehrt die Zukunft antizipieren (vgl. Kapitel 4) und seine oberste Führung wohl überlegt besetzen.

Disruption der Gesellschaft

Disruption impliziert das Entstehen von Gewinnern und Verlierern ebenso wie ein Forcieren des Anpassungsdrucks von Menschen, Organisationen und Staaten. Folgerichtig wird die Disruption zum Kern einer neuen Geschichts- beziehungsweise Zukunftsphilosophie erkoren. Ging es im 18. Jahrhundert um Fortschritt, im 19. Jahrhundert um Evolution, im 20 Jahrhundert um Innovation, steht nun die Disruption im Zentrum.

Disruption ist deshalb weit mehr als ein betriebswirtschaftliches Thema. Je mehr der Kapitalismus zum Plattformkapitalismus wird, je mehr Arbeitsplätze durch Maschinen bedroht sind, je mehr sich die Datensätze zur künstlicher Intelligenz entwickeln und neue Formen der Überwachung denkbar machen, desto offensichtlicher wird die politische Dimension der Disruption. Durch die Disruption der Märkte erleben wir auch eine Disruption des Wirtschaftssystems und damit eine Disruption der Gesellschaft.

Die Digitalisierung bringt gleichzeitig neue Güter, Ressourcen und Machtzentren hervor. Die Verlagerung des Lebens in den digitalen Raum verändert die Anforderungen an den Service Public, die Verbreitung digitaler Güter mittels Copy/Paste das Konzept des Eigentums, die Polarisierung der Arbeitsmärkte die Anforderungen an die sozialen Versicherungssysteme. In Form der Sharing Economy werden Formen der Bedürfnisbefriedigung jenseits des Markts denkbar, die Do-IT-Yourself-Bewegung verstärkt diese Entwicklung.

Die weitere Digitalisierung durch Augmented Realiy, das Internet der Dinge, Big Data und künstliche Intelligenz ist weder überraschend noch vermeidbar. Unklar aber ist, wie der Mensch auf die weitere Digitalisierung reagieren wird. Angesichts der Veränderungen durch die digitale Disruption, ist ein Auseinanderdriften von solchen Menschen zu erwarten, welche die aktiv Digitalisierung vorantreiben und an der digitalen Gesellschaft auch teilhaben können – und jenen, die sich durch die Digitalisierung bedroht oder ausgeschlossen fühlen.

Es könnte also sein, dass die wahre Disruption in Zukunft nicht nur die Digitalisierung, sondern durch deren Gegenbewegung hervorgerufen wird. Wenn sich immer mehr Menschen dagegen wehren, dass ihr digitaler Lebensstil (Hardware, Software, Nutzung der Daten, Lebensgeschwindigkeit) fremdbestimmt ist, könnte dies zu politischem Druck, Boykotten und Konsumverweigerung führen. Genauso denkbar ist das Entstehen eines unternehmerischen Klimas, in dem an Alternativen zur fremdbestimmten, ressourcenintensiven digitalen Gesellschaft gearbeitet wird.

Nicht nur wir als Gesellschaft sondern auch jedes einzelne Unternehmen ist aufgefordert, sich in diesen Wirkungsfeldern der Digitalisierung zu positionieren. Je mehr wir in einer ökonomisierten Wirtschaft leben, desto mehr gesellschaftliche Verantwortung wird an Unternehmen übertragen. Durch ihre Positionierung in den Märkten (auch in den Arbeitsmärkten) antworten sie – zumindest implizit – auf die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Je grösser ein Unternehmen, desto grösser die Möglichkeiten der Einflussnahme.

Management Take Away

Disruption droht bei veränderten Zukunftsaussichten, knappen Rohstoffen, neuen Datenträger sowie wenn Plattformen Intermediäre und Crowds Experten ersetzen.

Disruption passiert nicht von heute auf morgen. Insbesondere technologische Entwicklungen zeichnen sich frühzeitig ab. Offen ist dagegen, wie die Menschen darauf reagieren.

Disruption setzt Unternehmen durch erhöhte Veränderungsgeschwindigkeit, sinkende Markteintrittsbarrieren, Plattform-Kapitalismus und einen intensiveren Wettbewerb mit tiefen Margen unter Druck.

Disruption kann durch interne und externe Massnahmen antizipiert werden. Dazu gehören Freiräume für die Mitarbeitende, Diversity, Kundenbeiräte, Trendscouting und Venture-Boards.

Disruption der Aussenwelt erfordert eine Disruption der Innenwelt. Es braucht Arbeitswelten mit Mensch-Maschinen-Symbiosen, Hypervernetzung und Pull-Leadership.

Disruption verändert das Aufgabenprofil von HR. Dieses sollte sich vermehrt an HR-Währungen statt Prozessen orientieren, die Nähe zur IT suchen und selbst einen Skill-Shift vollziehen.

Disruption führt zu einer Disruption der Gesellschaft. Sie verändert das Wirtschaftssystem und fordert uns als Gemeinschaft in Bezug auf digitale Diversität und Bildungs- und Sozialversicherungssysteme heraus.


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