HRM Trendstudie 2017: Unternehmensübergreifendes Skill Management
Mit Illustrationen von Karsten Petrat
HR in und für die Transformation
Die digitale Transformation bringt einen dreifachen wirtschaftlichen Strukturwandel mit sich. Erstens sind Geschäftsmodelle verstärkt von der Plattformwirtschaft geprägt. Wichtiger als Produkte sind Kundenzugänge, Netzwerke und Daten – um die Fähigkeiten des Unternehmens zu multiplizieren und in neue Märkte vorzudringen. Zweitens sind Unternehmen durch die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine geprägt. Drittens verlieren diese im Streben nach Agilität und durch eine neu definierte Loyalität von Kunden und Mitarbeitenden ihre festen Grenzen.
Die Perspektive von HR erweitert sich einerseits auf die Maschinen, anderseits auf die Fähigkeiten ausserhalb der Organisation
McAffee & Brynjolfsson nennen diese Kräfte Machines, Platforms und Crowds. Kaum überraschend, gehen diese auch nicht spurlos am HRM vorbei. Seit längerem stehen sowohl die Abgrenzung der Organisationseinheit als auch deren Aufgaben zur Diskussion. Zum einen möchte HR eine lenkende oder zumindest begleitende Rolle in der Organisationsentwicklung einnehmen. Ziel ist eine Organisation, welche die eben erwähnten Kräfte positiv nutzen kann. Zum anderen verändern die Kräfte natürlich auch das HR selbst. Auch hier sind die Kräfte Machines, Platforms und Crowds wegweisend.
Damit erweitert sich die Perspektive von HR einerseits auf die Maschinen (beziehungsweise die Daten und Algorithmen) sowie die Fähigkeiten ausserhalb der Organisation. Das ist mehr oder weniger Common Sense. Offen ist wie diese Aufgaben in Zukunft erledigt werden. Die Trendstudie 17 der Wissensfabrik beleuchtet deshalb, wo es sinnvoll sein könnte, mit anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Denkt man eine Wirtschaft der Netzwerke in die Zukunft, wird das unternehmensübergreifende HR irgendwann wichtiger werden als das HR innerhalb der Organisation. Um dessen Möglichkeiten und heutigen Grenzen zu ergründen, wurden acht Interviews mit Exponent(inn)en der Schweizer HR-Szene geführt.
Maschinen, Plattformen, Schwärme
Maschinen, Plattformen und Schwärme verändern die wirtschaftlichen Strukturen. Sowohl das Konstrukt der Branche als auch des Unternehmen geraten unter Druck, ebenso stehen Abteilungen und Hierarchien zur Diskussion. Es ist eine Wirtschaft der verkürzten Lebenszyklen, der kleinen Margen sowie der Systemintegration von Wettbewerb und Kooperation. In dieser Wirtschaft der Netzwerke schrumpfen die Unternehmen auf ihren Kern. Er definiert sich einerseits über die Identität, anderseits über die strategischen Wettbewerbsvorteile. Sie sind letztlich auf die Fähigkeiten von Mensch und Maschine zurückzuführen. Bisher sind die Menschen wichtiger, insbesondere weil die Maschinen nicht selber innovieren können.
Vor diese Hintergrund stehen drei HR-Aufgaben im Vordergrund:
Umbau der Organisation zur Plattform
Unternehmen strukturell und kulturell an die Erfordernisse und Strukturen der neuen Wirtschaft heranführen
Strategische Ressourcenplanung
Unternehmen mit den Fähigkeiten versorgen, um den künftigen Märkten und Herausforderungen gewachsen zu sein
Gestaltung und Entwickeln von Communities
Organisationale Lernprozesse fördern, Sicherstellen der Daten- und Wissensflüsse
Alle drei Aufgaben sind letztlich Teil des Skill Managements. Strategische Personalplanung versucht zu antizipieren, welche Fähigkeiten für den Erfolg nötig sind oder unverzichtbar sind, um sich in, mit und für die digitale Transformation zu entwickeln. Das verweist auf zwei ganz unterschiedliche Paradigmen im Skill Management. Im Future Back Ansatz versucht man heute die Fähigkeiten der Zukunft zu antizipieren – durch die Auseinandersetzung mit technologischen Veränderungen und künftigen Märkten. Das unterstreicht, warum Technologiekompetenz für das HR so wichtig geworden ist. Weiss HR nicht, wie technologische Entwicklungen die für eine Organisation notwendigen Fähigkeiten verändern, kann es in der Transformation kaum unterstützen.
Allerdings haben heute viele Unternehmen wenig Ahnung, wie sie in Zukunft Geld verdienen werden. Heutige Märkte brechen ein, während diejenigen der Zukunft noch unzureichend definiert sind. Das könnte den Present Forward Ansatz stärken. Hier gibt es HR auf, zu wissen, welche Fähigkeiten in Zukunft gefragt sein werden. Stattdessen schafft man ein Umfeld, in dem sich aus den Potenzialen der Mitarbeitenden die Ertragsquellen der Zukunft entfalten. Das setzt weniger ein Antizipieren künftiger Entwicklungen als Kenntnisse über die Fähigkeiten und Leidenschaften der Mitarbeitenden voraus. Mögliche Ansatzpunkte für die Gestaltung eines entwicklungsfördernden Umfelds sind im Sinne einer hypervernetzten Arbeitswelt die Räumlichkeiten, die digitale Arbeitsumgebung, die Organisationsformen sowie das Führungsverständnis.
Beim Present Forward Ansatz des Skill Managements gibt man es auf zu wissen, welche Fähigkeiten in Zukunft gefragt sein werden
Die Zukunft von HR findet durch die Stärkung neuer Organisationsformen, durch das Streben nach Effizienz und Agilität sowie durch die verstärkte Nutzung von HR Self Services Plattformen zu einem grossen Teil dezentral statt (vgl. Weilbacher, 2017). Mitarbeitende erledigen dann HR-Aufgaben wie das Rekrutieren (über Matching Plattformen sowie die Übertragung der Verantwortung für die Rekrutierung neuer Mitarbeitenden an die betroffenen Teams) oder auch die HR-Administration (Datenpflege, Lohnzettel drucken, Onboarding) selbst. HR wird dadurch in bisherigen Aufgaben zunehmend unsichtbar. Das bedeutet nicht diese HR-Aufgaben zu streichen. Vielmehr sollten die selbstorganisierten Netzwerke befähigt werden, diese Aufgaben selbst zu übernehmen – entweder durch Technologie, Weiterbildung oder schlicht die Sensibilisieren für die Bedeutung von HR-Themen in der Organisations- oder eben Netzwerkentwicklung.
Damit HR für die Übersiedlung in die neue Welt glaubwürdig erscheint, sollte es neugierig die Zukunft erkunden und erstens seine Rollen, Fähigkeiten und Instrumente – vor dem Hintergrund der drei strukturellen Veränderungen (Platform, Cords, Machines) – kritisch reflektieren. Das Übernehmen neuer Rollen wird es zweitens nötig machen, alte Rollen abzustreifen und alte Instrumente (wie das Zeugnisse, Stellenbeschreibungen, Qualifikations- und MbO-Prozesse) abzuschaffen. Auch hier gilt die Binsenwahrheit, dass erst die konsequente Nutzung der Digitalisierung Raum und Ressourcen für wertschöpfende menschliche Differenzierung schafft. Um zu Lösungen für die Zukunft zu kommen, scheint es drittens sinnvoll, in HR jene Formen der Zusammenarbeiten zu pilotieren, die man sich in Zukunft für die gesamte Organisation vorstellen kann. Dabei geht es beispielsweise um Holocracy, Projektmarktplätze, egalitäre Lohnsysteme oder die Überwindung von eMail.
Möglichkeiten eines unternehmensübergreifenden HRM
Zusammenarbeit über die Grenzen einer Organisation ist im Skill Management grundsätzlich dort sinnvoll, wo Unternehmen vor ähnlichen Problemstellungen stehen. Ob man tatsächlich kooperiert, ist von den Transaktionskosten abhängig. Im Vergleich zu internen Lösungen oder einem Outsourcing an Dritte muss eine Kooperation entweder am günstigsten sein oder zu einer signifikant besseren Problemlösung führen. Typisch für Netzwerklösungen sind exponentielle Netzwerkeffekte. Facebook ist anderen Netzwerken überlegen, weil es dem Unternehmen gelingt zahlreiche Nutzerinnen einerseits und anderseits Dienstleistungen zu integrieren. In der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeiten müsste es HR gelingen, solche neuen Verbindungen (zwischen Unternehmen, Mitarbeitenden oder Datensätzen) zu fördern und pflegen.
Je wichtiger die tangierten Kompetenzen für den Unternehmenserfolg sind, desto unwahrscheinlicher wird eine Zusammenarbeit. Gemäss Theorie der Kernkompetenzen ist dies der Fall, wenn Fähigkeiten selten (also schwierig auf dem Markt zu finden sind), schwer imitierter und nicht ersetzbar sind. Die Theorien der Kernkompetenzen verweisen darüber hinaus auf die Bedeutung dynamischer Fähigkeiten. Einer lernenden Organisation gelingt es ihre Fähigkeiten zu reflektieren, weiterzuentwickeln und an neue Herausforderungen oder eben Strukturen anzupassen. Das spricht für Kooperationen, weil diese Lernprozesse ermöglichen, die innerhalb einer Institution nicht möglich sind – durch das Austauschen, Vergleichen, gemeinsame Entwickeln. Der Ansatz HR über Unternehmensgrenzen hinweg zu betreiben, mag futuristisch klingen, doch der beschriebene Strukturwandel wird auch im HR neue Strukturen schaffen.
Die folgenden Beispiele zeigen auf, wie bereits heute in Netzwerken Fähigkeiten analysiert, vermittelt, entwickelt, kombiniert, geteilt und zur Anwendung finden.
HR-Administration
Naheliegend und bereits fortgeschritten ist die Zusammenarbeit in der Administration. Es ist offensichtlich ein Bereich, der wenig zur Differenzierung eines Unternehmens auf dem Markt beiträgt. Zudem können durch Zusammenarbeit Kosten gespart werden. Konkret geht es um die Auszahlung von Löhnen, die Aktualisierung von Stammdaten, die Zusammenarbeit mit Behörden oder Mutationen. Weiter gedacht dürften auch die gemeinsame Nutzung von Tools für die Befragung von Mitarbeitenden, für das 360°-Feedback oder die Unterstützung der Selbstreflexion an Bedeutung gewinnen – auch zwecks Datenpooling (vgl. unten). Die Entwicklung eigener IT Lösungen ist teuer, zugleich sind viele Unternehmen zurzeit daran HR Self Services Plattformen einzuführen. Das spricht für eine Zunahme von Kooperationen, gerade auch von KMU.
Stellenmärkte
Um beim Staffing von Projekten aus mehr Mitarbeitenden auswählen zu können, um diesen mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und um Spitzen im Personalbedarf zu brechen, beginnen Unternehmen mit supra-organisationalen Stellen- bzw. Projektmärkten zu experimentieren. Auch wegen des Wunsches der Plattformen, ihre Fixkosten zu reduzieren, gewinnt das Sharing der Kompetenzen an Bedeutung. Offen ist, wer die Marktplätze der Zukunft bauen wird. Unternehmen könnten diese selbst auf die Beine stellen oder Stellenvermittler könnten ihr Angebot digitalisieren. Auch die globalen Player Google, Facebook und Linked dürften künftig aufgrund ihres Wissens über unsere Fähigkeiten, Biographien und Netzwerke im Management der Arbeit eine Rolle spielen. Temporäre Funktionswechsel und Laufbahnpläne über die Organisationsgrenzen werden aufgrund der relativierten Loyalität aber auch zusätzlichen Entwicklungsmöglichkeiten an Bedeutung gewinnen.
Problematisch an diesen Plattformen ist, dass die Metadaten weder für uns noch unsere Arbeitgeber zugänglich sind. Durch diese Informationsasymmetrien wissen wir nicht, was wir wissen.
Plattformen des Wissensmanagements
Das Teilen von Wissen erfolgt bereits heute weitgehend über die Grenzen einer Organisation hinweg. Natürlich gibt es geschlossene Plattformen des Wissensmanagements. Doch ein Grossteil unserer Links und Gedanken tauschen wir via Linked-In, Twitter und Facebook bereits heute losgelöst von den Systemen unserer Arbeitgeber. Gerade Linked-In hat sich in den letzten Monaten (subjektiv gefühlt, da Zahlen weitgehend fehlen) als wichtiger Player des supraorganisationalen Wissensmanagements etablieren können. Problematisch an diesen Plattformen ist, dass die aus unseren Beiträgen resultierenden Metadaten weder für uns noch unsere Arbeitgeber zugänglich sind. Durch diese Informationsasymmetrien wissen wir nicht, was wir wissen. Nur die Plattformen wissen, wer die gleichen Artikel liest, wer wen kennt, wer im Zentrum der Netzwerke steht, wer ähnliche Karrierewege hat, wer vermutlich welche Kompetenzen hat, etc.
Gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten
Unternehmen beginnen zögerlich aus finanziellen und ökologischen - aber auch aus Innovationsgründen Räumlichkeiten gemeinsam nutzen. In Co-Workings treffen sich Menschen, um stunden- und tageweise zusammenzuarbeiten. Diese Entwicklung wird durch die Digitalisierung eine natürliche Fortsetzung finden. Nicht nur weil sich die ökonomischen Strukturen durch Maschinen, Plattformen und Crowds transformieren und zudem digitale Arbeitsumgebungen den Arbeitsort relativieren, sondern auch weil die Transparenz über Verfügbarkeit und Nutzungseffizienz von Räumlichkeiten steigt. Bereits heute zeigt PopUp Office ähnlich wie Airbnb, wo es freie „Büros“ gibt. Es ist zu erwarten, dass Unternehmen ihre Büros vermehrt öffentlich zugänglich machen und deren Kuratierung wichtiger wird. Gastgeber werden Anwesende mit ähnlichen Interessen und ergänzenden Fähigkeiten zusammenführen.
Personalentwicklung
Auch in der Weiterbildung wird HR seit langem über die Grenzen einer Organisation hinweg betrieben. Menschen aus ganz unterschiedlichen Betrieben kommen zusammen und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. Neben Universitäten, Fachhochschulen und höheren Fachschulen spielen auch Anbieter wie das CYP eine Rolle, die als Lerncenter Bildung und Weiterbildung für verschiedene Unternehmen aus derselben Branche anbieten. In Zukunft wird es darum gehen, die Lern-Lehrsettings dem digitalen Zeitalter anzupassen. Charakteristisch dafür ist eine hohe Vernetzung des Wissen und der Wissensträgerinnen. Lernorte werden zu Co-Learning Orten, Lernende und Lehrpersonen verstehen sich als Lerngemeinschaft. Das impliziert eine Abkehr von der Vermittlung von Fachwissen, neue Rollen der Lehrpersonen sowie eine partizipative Entwicklung von Curricula (Co-Creation). Die Zusammenarbeit von Zühlke, Axa und Swisscom bei der Ausbildung von Datenspezialisiten ist ein anderes Beispiel für künftige Kooperation in der Personalentwicklung. Ähnliches ist bei Lehren (auch Lehren für 50+) oder Trainee-Programmen denkbar.
Soziale Verantwortung - Skill Shift in der Gesellschaft
Eine stärkere Zusammenarbeit in HR-Themen könnte durch den Abbau von Arbeitsplätzen im Zuge der Digitalisierung nicht nur wünschenswert sondern notwendig werden. Der Einzug der Maschinen aber auch die neuen Strukturen verlagern die notwendigen Kompetenzen. Das führt zu einem nicht unwesentlichen Umbildungsbedarf, wobei Weiterbildung nicht immer die Lösung sein wird. Plakativ ausgedrückt lässt sich eine Kassiererin nicht zur Datenspezialistin umschulen. Menschen, die in der vor-digitalen Wirtschaft selbstverständlich ihren Platz hatten, haben nun ohne kontinuierliche Weiterbildung Mühe, in einer digitalen Wirtschaft eine Stelle zu finden. Bei Kooperationen für den Skill Shift bilden Arbeitgeber gemeinsam weiter und definieren Arbeit für Menschen neu, die nicht mit der digitalen Transformation standhalten können. Es ist Arbeit, die weniger den Unternehmen als vielmehr dem Zusammenhalt, der Entwicklung und der Stabilität einer Gesellschaft dient. Möglicherweise macht es für Arbeitgeber die stark vom Still Shift betroffen sind, mit Institutionen des zweiten Arbeitsmarkts und NGOs zusammenzuarbeiten.
Datenpartnerschaften
Ähnlich wie im Marketing sind auch im HR Partnerschaften denkbar, in denen man Daten und damit Wissen teilt. Durch das Zusammenlegen von Datensätzen erhält man grössere Datenquellen, man erkennt Präferenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden besser und kann diese sinnvoller miteinander kombinieren. Zudem entstehen Datensätze die genug gross sind für die Programmierung von Bots beziehungsweise die Anwendungen künstlicher Intelligenz. Aus Management-Sicht bieten Datenpartnerschaften zusätzliche Vergleichsmöglichkeiten. Vielversprechend im Bereich der HR Analytics sind Erkenntnisse über die ideale Zusammensetzung von Teams oder Multiplikatoreffekte von Führungskräften in Bezug auf HR Währungen (wie Gesundheit, Innovationskraft oder Retention) Karriereverläufen. Gerade in KMU fehlen häufig sowohl die Daten als auch die Kompetenz, um zu diesem Wissen zu kommen und die Organisation entsprechend weiterzuentwickeln. Dazu kommt dass viele nationale Unternehmen in Zukunft im internationalen Wettbewerb stehen werden und nur die Kooperation mehrerer nationaler Player es ermöglichen wird, gegen die globalen Riesen zu bestehen.
Grenzen eines unternehmensübergreifenden HRM
Denkt man Kräfte Maschinen, Plattformen und Schwärme zu Ende, erkennt man am Horizont eine Wirtschaft, die sich in ihren Strukturen deutlich von der heutigen unterscheiden wird. Organisationsgrenzen werden überall dort in den Hintergrund rücken, wo durch Kooperationen ein Problem besser gelöst werden kann oder nur durch Kooperation ein wesentlich grösserer Wettbewerber in die Schranken gewiesen werden kann. Das gilt natürlich nicht nur, aber auch für das HR. Eine Dynamisierung der Arbeitswelt setzt voraus, dass die alten internen Ordnungshilfen eines Unternehmens wie das Organigramm, die Abteilung, die Hierarchien, die Stellenbeschreibung, die Lohnklassen aber auch der Beruf abgebaut werden. Nur wenn wir die alten Strukturen relativieren können wir die neuen nutzen und unsere wirklichen Potenziale entfalten.
Doch eben diese Errungenschaften der alten Arbeitswelt sind zusammen mit unseren Ängsten und dem grassierenden Kontrollverlust, die grössten Hindernisse in der Entfaltung neuer Strukturen. Verantwortliche haben Angst in ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschwächt zu werden - weil man Know How und Talente nicht mehr absichern kann oder sich durch neue Formen der Zusammenarbeit unnötigen (IT)-Risiken aussetzt. Der Kontrollverlust könnte gar einen Back Flash provozieren: Mit Hilfe alter Strukturen, dem Verbot von Home Office oder der Neulancierung von Top Down Führung glaubt man Orientierung und Sicherheit zu schaffen. Doch Grenzen, Zäune und Zölle sind Hilfsmittel der alten Welt. Sie funktionieren nicht mehr in einer Welt, in der Innovation durch Kooperation entsteht, sich in vielen Köpfen und Herzen die Menschenbilder verändert haben, die wichtigsten Neuerungen aus fremden Branchen und Ländern kommen, Diversität und Zugang also zweifellos entscheidende Erfolgsfaktoren sind.
Wir haben es mit einem typischen Gefangenen Dilemma zu tun
Ein ganz anderes Hindernis auf dem Weg zu mehr Kooperation im HR sind die veralteten politisch-reichlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts und der Sozialversicherungen tun noch zu viele (Politiker und Mitglieder der Verwaltung) so, als hätte sich die Arbeit in den letzten zwei Jahrzehnten nicht massiv verändert. Arbeit kennt bei der steigenden Anzahl von Wissensarbeitenden keine räumlichen und zeitlichen Grenzen, Präsenz ist unzureichend für die Beurteilung der Arbeitsqualität, junge Menschen definieren Loyalität anders als frühere Generationen. Unsere veralteten Rahmenbedingungen verweisen auf die Notwendigkeit gesellschaftspolitischer Reformen und noch mehr auf die Gefahr, dass Konzerne unabhängig von nationalen Gesetzen jene Strukturen errichten werden, die ihnen für ihre Ziele und Visionen am dienlichsten sind. Das ist der Nährboden für die konsequente Durchsetzung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Wir haben es mit einem typischen Gefangenen Dilemma zu tun. In diesem will keiner den ersten Schritt wagen – hier zu mehr Kooperationen im HR. Man hat Angst, alles zu verlieren, wenn man sich dafür entscheidet, mit anderen zu kooperieren und hält deshalb am Bestehenden fest. Doch aus Distanz betrachtet, mögen Unternehmensgrenzen zwar hier und dort das Wohl des einzelnen Unternehmens maximieren, bestimmt aber maximieren sie nicht die volkswirtschaftliche Gesamtleistung. Eine Wirtschaft der Netzwerke verlangt es Wissen über die Grenzen einer Organisation zu tauschen, Fähigkeiten gemeinsam zu entwickeln und (HR-)Daten gemeinsam zu nutzen. Will HR supraorganisational werden, bedingt dies Mut, vielleicht sogar den Glauben an die Überlegenheit der Netzwerke. Das aber bedingt langfristig, sich als Organisationseinheit abzuschaffen und in neuen Strukturen neu zu erfinden. HR macht also in der Transformation dann einen guten Job, wenn es sich selbst überflüssig macht und die Organisation beziehungsweise deren Mitareitenden befähigt, selbst alle HR-Aufgaben zu übernehmen.
HR in einer Welt ohne Organisationen
Der Mensch bleibt auf absehbare Zeit der wichtigste Erfolgsfaktor der Wirtschaft. Das heisst auch in Zukunft wird es HRM in irgendeiner Form benötigen – um unsere Fähigkeiten und Leidenschaften möglichst gut sichtbar zu machen, zu entwickeln und miteinander zu kombinieren. Doch Maschinen, Plattformen und Crowds werden auch das HR der Zukunft prägen. Wenn Expertinnen über HR in dieser Zukunft sprechen, wird diese häufig als Zukunft der Organisation ohne HR gedacht. Doch vielleicht ist es für das Erkennen der nächsten Schritte viel hilfreicher, sich eine Zukunft mit HR aber ohne Organisationen vorzustellen. Das soll nun abschliessend kurz versucht werden.
Vielleicht ist es viel hilfreicher, sich eine Zukunft mit HR aber ohne Organisationen vorzustellen.
Organisationen werden aufgrund des gesellschaftlichen Nutzens von Wettbewerb oder auch unseres Wunsches nach Stabilität und Sicherheit – nicht von heute auf morgen verschwinden. Im Streben nach Agilität und Effizienz werden sie jedoch auf ihre Kerne schrumpfen. Zwischen einem und zwei Drittel aller Arbeitskräfte dürften dann als Nomaden für mehrere Arbeitgebern tätig sind. Typisch für das Schrumpfen ist der Abbau von Fixkosten und Anlagevermögen – stört doch beides die angestrebte Veränderungsfähigkeit. Das aber macht supra-organisationale Plattformen nötig, die es Unternehmen ermöglichen auf Ressourcen, Vorleistungen und Kompetenzen zuzugreifen. Aus HR Sicht geht es um Wissen und Fähigkeiten.
Es werden Plattformen entstehen, welche die Netzwerke mit Wissen und Fähigkeiten versorgen – von Menschen, weiter gedacht auch von Maschinen und künstlicher Intelligenzen. Im Unterschied zu heute, ist die gesamte Administration ausgelagert, es gibt kein Recruiting mehr und das Matching passiert viel stärker durch Selbstorganisation und mit Hilfe von Algorithmen. Personalentwicklung und Karrierepläne werden selbstverständlich über die Grenzen einer Organisation hinweg angeboten. Um die Funktionen von solchen HR-Plattformen in einer Welt ohne Organisationen zu antizipieren, gibt es zwei Zugänge. Sie lassen sich entweder aus Sicht der Arbeitgeber (oder Know-How-Nachfrager) oder der Arbeitnehmer (Know-How-Trägerinnen) denken. Aus der Perspektive einer geschrumpften Kernorganisation sind folgende Angebote besonders wichtig:
Potenzialentfaltung unterstützen Schärfen der Identität und der Kernkompetenz, darauf aufbauend present forward orientierte Talententwicklung, Prüfen der Strukturen, der analogen und digitalen Arbeitsumgebung
Skill Shift antizipieren Ausgehend von technologischen und soziologischen Trends beleuchten, welche Fähigkeiten wichtig werden und in Organisationskern gehören, Abbau überprüfen und initialisieren
Expertise vermitteln Zugang zu Fähigkeiten verschaffen, Aufbau von Kompetenznetzwerken, Unterstützen des internen Skill Managements (Transparenz, Matching), HR-Datenstrategien und Instrumente einführen
Zweitens kann man die Zukunft von HR auch aus Sicht von freiarbeitenden Wissensarbeiterinnen denken. Aus Sicht einer Wissensnomadin stehen drei Entwicklungen im Vordergrund:
Jobmöglichkeiten aufzeigen Vermitteln von Projekten und Temporären Arbeitsstellen, Beratung im Selbstmarketing, Pflege und Inszenierung des Kompetenzprofils
Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen Coaching und Mentoring, Reflektieren von Laufbahn und Weiterbildungsmöglichkeiten, Entwicklung reflektieren, Vermitteln von Lernmöglichkeiten von the Job
Möglichkeiten der Ent-Netzung aufzeigen Unterstützen der Selbstreflexion, In der Entschleunigung unterstützen, Fördern der Achtsamkeit, Zugang zu Wellness-Angebote
Offensichtlich wird auch HR in Zukunft eine Plattform sein. Diese kann man entweder innerhalb der Organisation oder aber organisationsübergreifend denken. Grosse Unternehmen werden sich eine eigene leisten, vor allem wenn das HR durch die vorgestellten Aufgaben einen Wettbewerbsvorteil erwirtschaften kann - also zum strategischen Kern gehört. Wie bei allen anderen Übersetzungen in die Welt der Plattformen zieht der Wandel für HR eine Reduktion des Anlagevermögens und der Fixkosten mit sich. HR schrumpft auf seine identitätsstiftenden und strategiebezogenen Tätigkeiten. Neben den eben beschriebenen Aufgaben geht es im Sinne der Transformation um Technologie-Outlook, Change und Identitätsmanagement, Kulturentwicklung und HR Analytics. Ein agiles HR wird Administration, klassisches Recruiting und die fachliche Weiterbildung abbauen, das Business Partner Modell hinter sich lassen und immer mehr HR-Aufgaben an die Mitarbeitenden übertragen. Und wie immer braucht es ergänzend zur Schrumpfung Beziehungen zu Kompetenzträgerinnen, die sich ausserhalb des definierten Kerns befinden.
Quellen und Interviewverzeichnis
Das White Paper stellt keine direkten Quellenbezüge her. Für die Erarbeitung habe ich gelesen und mit folgenden acht Personen gesprochen:
Interviews
- Alexander Senn, COO Human Resources, Swisscom
- Daniela Eberhardt, Direktorin HRM, Stadt Zürich
- Erika Ingold, Leiterin Sourcing, Recruiting & Talents, SBB
- Helene Müller, Leiterin HR Strategie & Entwicklung, PostFinance
- Mirjam Bamberger, Leiterin HR & Communication, AXA Winterthur
- Nathalie Bourquenoud, Leiterin Human Development, Die Mobiliar
- Valérie Schelker, Leiterin Personal, Die Schweizerische Post
- Viktor Calabró, CEO Coople
Literatur
- McAfee, A. & Brynjofsson, E. Machine, Platform, Crowd. 2017
- Moazed, A. & Johnson, N. L. Modern Monopolies, 2017.
- Weilbacher, J. Human Collaboration Management, 2017