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Was ist die Zukunft? Über mein Selbstverständnis als Zukunftsforscher

Schon seit mehr als 15 Jahren beschäftige ich mich nun intensiv mit der Zukunft. Zunächst stand die Digitalisierung und mit ihr das Verhältnis von Mensch und Maschine im Vordergrund. Dazu gesellte sich später das Interesse für Innovation(sethik) sowie für das Verhältnis von Mensch und Tier. Doch was mache ich eigentlich als Zukunftsforscher und wie sehe ich in meiner Arbeit die Zukunft?

Prognosen der Zukunft sind unmöglich. Insbesondere ist es nicht möglich, Entwicklungen zu datieren oder mit einer Zahl zu versehen, zum Beispiel wann die selbstfahrenden Fahrzeuge selbstverständlich herumfahren werden. In der “Berechnung” der Zukunft gibt es schlicht zu viele Variablen und Akteure (inklusive Tiere, Viren und Bakterien), die einwirken. Aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren ist es deshalb auch unmöglich, eine Zukunft zu bestimmen – was sich Gläubige von Verschwörungserzählungen beziehungsweise Anhänger eines New World Komplotts einreden.

Im Vordergrund meiner Arbeit als Zukunftsforscher steht die Beschreibung von langfristigen Entwicklungen. Das aber verlangt, mich gleichzeitig mit der Zukunft und der Vergangenheit zu beschäftigen. Denn versteht man die Zukunft als die Entfaltung von langfristigen Entwicklungen, haben diese längst begonnen. Die Zukunft fusst also in den Veränderungen der Vergangenheit. Die Geschichtswissenschaften sprechen dazu passend von “longue durée”-Analysen. Zeitlich interessiert mich alles, was zwischen 1800 und 2100 passiert. Ich vertrete die These, dass wir in einer Verlängerung des 19. Jahrhunderts leben. Weder hat sich das Energiesystem gewandelt noch das Fortschrittsverständnis.

Die Zukunft existiert im Plural. Je nach Perspektive, die wir einnehmen, sehen wir eine andere Zukunft. Grob unterscheide ich zwischen einer technologischen, einer ökologischen und einer demographische Analyse. Die Entwicklungen in den drei Perspektiven können sich widersprechen, zudem hat jede Zukunft einen Gegentrend. Plakativ gesagt: Digitalisierung bewirkt einen analogen Backlash, Globalisierung Regionalisierung. Historisch betrachtet, bündeln sich die Gegentrends in Gegenkulturen, zum Beispiel in der Bewegung der Lebensreform. Gegenkulturen kritisieren die Moderne beziehungsweise eine eindimensionale Vorstellung von Fortschritt. Bisher habe ich mir zwei Gegenkulturen näher angeschaut: die Offliner und den Veganismus.

Die Zukunft ist ein Spiegel der Gegenwart. Die Zukünfte, die Zukunftsforschende “sehen”, sind geprägt von aktuellen Technologien, geopolitischen Lagen, den dominierenden Medien sowie gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Ende des 19. Jahrhunderts war die Zukunft elektrisch, in den 1950er-Jahren dominierte das Atomzeitalter, heute sieht man die Zukunft digital und alles ordnet sich der Metapher des Netzwerks unter. Es ist offensichtlich, dass bei solch einseitigen Betrachtungen vieles übersehen wird. Indem Zukunftsforschende frühere Prognosen studieren, lernen sie deren Chancen und Grenzen besser kennen.

Wer sich mit der Zukunft beschäftigt, kann sich besser auf den Weg dorthin vorbereiten. Die Auseinandersetzung mit der Zukunft erleichtert zu erkennen, was sich ändern könnte und hilft zu definieren, was Bestand haben sollte. Zudem lernt man in Möglichkeiten zu denken, weil es eben immer mehrere Zukünfte gibt. Agil ist, wer diesen “Möglichkeitssinn” verinnerlicht. In der Auseinandersetzung mit der Zukunft lohnt es sich externe Profis beizuziehen, weil diese in der Strukturierung von Diskursen geschult sind. Zudem sind sie nicht Teil des Systems, seiner politischen Spiele und bereits geführten Diskussionen. Sie haben einen unbefangenen Blick.

Zukunftsforschung heisst, nach Wiederholungen zu suchen. Zukunftsforschung ist kein Hokuspokus, sondern vor allem eine Fleissarbeit. Sie analysiert in unterschiedlichsten Quellen Signale der Zukunft und sucht dabei nach Wiederholungen. Meine Motivation als Zukunftsforscher ist es, die entdeckten Spannungsfelder der Gegenwart präzise zu beschreiben, in denen sich das Morgen entfalten wird. Meine Arbeit mache ich dann gut, wenn Zielkonflikte sichtbar werden, mein Publikum mit neuen Fragen nach Hause geht und klar wird, wo man als Individuum, Unternehmen oder Institution auf die Gestaltung der Zukunft Einfluss nehmen kann.

Wir sollten die Zukunft nicht mehr nur als Addition denken. Zukunftsforschende und Innovatorinnen neigen dazu, die Zukunft als Gegenwart + Innovation X zu denken. Doch die Nebenwirkungen des Anthropozäns zwingen uns, dieses Prinzip zu hinterfragen. Wir können nicht immer noch einen Trend, eine Technologie oder einen Kanal hinzufügen. Sonst enden wir in einer Messigesellschaft, die an ihrem Müll und den Nebenwirkungen ihrer Innovationen zugrunde geht. Zukunft sollte deshalb viel öfters als heute dem Prinzip der Substraktion folgen. Das bedingt zu prüfen, was zu löschen, zu eliminieren, zu vergessen ist. Diese Entschlackung stärkt die Nachhaltigkeit ebenso wie die Effizienz.


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