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Trennlinien der zukünftigen Arbeitswelt

Studie 8 der Wissensfabrik | Januar 2014
Zusammenfassung in personal schweiz


Wir leben in einer individualisierten, digitalisierten, säkularisierten und ökonomisierten Welt. In dieser ist die Arbeit der Ort, wo wir am meisten Zeit verbringen und deshalb für viele eine zentrale Quelle der Sinnfindung. Die Arbeit bestimmt neben unserem Tagesablauf und dem daraus resultierenden sozialen Umfeld auch einen wesentlichen Teil unserer Identität. Konkret beeinflusst unsere Arbeit die uns entgegengebrachte Anerkennung, die Konsummöglichkeiten unserer Freizeit, den Zugang zu sozialen Kreisen und damit auch den wahrgenommenen sozialen Stellenwert.

Arbeit schafft die Möglichkeit am ökonomischen Leben teilzunehmen. Sie ist der wichtigste Stellhebel für sozialen Frieden und soziale Kohärenz. Das Schaffen von Arbeitsplätzen wird in Zeiten der Verlagerung des Krieges in die Wirtschaft gar als neue „Währung der Weltführerschaft“ bezeichnet. Umgekehrt gibt es umso mehr Arme und Ausgegrenzte je weniger Arbeit es gibt. Je ungleicher die Arbeit verteilt ist, desto ungleicher sind auch die Einkommen verteilt. Je mehr sich die Benachteiligten über die Elite ärgern, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit von gewaltbegleiteten Umsturzversuchen.

Durch die fortschreitende Digitalisierung gerät das im letzten Jahrhundert erreichte soziale und ökonomische Gleichgewicht des Westens in Bewegung. Digitalisierung und Globalisierung dematerialisieren nicht nur unseren Konsum und die dafür nötige Arbeit, sondern auch deren Verteilung und Organisation. Arbeit wird digitalisiert, beschleunigt und tendenziell nur noch nach wirtschaftlichen Kriterien betrachtet. Es stellt sich mehr denn je die Frage, ob uns durch die exponentiell wachsenden Wirkung der Maschinen nicht doch einmal die Arbeit ausgeht und welche Wirtschaftssysteme auf die Erwerbsarbeit folgen könnten.

Die Zukunft der Arbeit ist sowohl eine wirtschaftliche als auch eine politische beziehungsweise soziale Herausforderung. Um diese besser fassen zu können, hat die Wissensfabrik acht Trennlinien des künftigen Arbeitsmarkts herausgearbeitet. Die vorgestellten Trennlinien schliessen sich nicht gegenseitig aus, sie überlagern sich vielmehr. Es ist nicht Absicht der Studie, den künftigen Arbeitsmarkt trennscharf zu sezieren und die Segmente zu quantifizieren. Für das Anregen der Diskussion in Politik und Wirtschaft ist das Beschreiben wichtiger als das Messen.

Trennlinie 1: Anforderungen der Arbeit

Überfordernde vs. unterfordernde Arbeit

Eine erste Trennlinie der künftigen Arbeitswelt verläuft entlang der an die Mitarbeitenden gestellten Anforderungen. Während die einen durch ihre Arbeit überfordert werden, leiden andere unter langweiliger, repetitiver und unterfordernder Arbeit. In beiden Segmenten kommt es vermehrt zu psychischen Erkrankungen. Sowohl zu anspruchsvolle, als auch zu wenig anspruchsvolle Arbeit macht krank.

Das Segment der Überforderten

Die Trennlinie zwischen Über- und Unterforderung ist bereits gut sichtbar und wird sowohl in der Tagespresse als auch in den Feuilletons regelmässig thematisiert. Die Überforderten gestikulieren nervös in Anzug und Headset an hektischen Flughäfen, in noblen Hotellobbies, entlang den glitzernden Shoppingmeilen oder an anderen Nicht-Orten unserer globalen Welt. Stellvertretend für die Überforderung steht das das Burn Out. Es ist in den letzten Jahren nicht nur salonfähig, sondern zur eigentlichen Krankheit der Arbeitsgesellschaft geworden. Das Burn Out ist die Krankheit der gut ausgebildeten Wissensarbeiterinnen, Top Managerinnen, Wissenschaftlerinnen und Beraterinnen, die mit ihren Ideen und ihrer Entscheidungsfähigkeit viel Geld verdienen, im Gegenzug aber auch eine entsprechende Verantwortung tragen.

Das Burn Out tritt ein, wenn die Anforderungen der Arbeit nicht mehr bewältigt werden können, die Betroffenen an den hohen Erwartungen zerbrechen, die Leistungen schlechter werden und einfache Aufgaben plötzlich zu unüberwindbaren Hindernissen werden. Vor dem Zusammenbruch oder dem Ausstieg wird die Belastung häufig nur noch durch begleitende Therapien und aufheiternde Medikamente überstanden. Die Überforderten leiden unter der Unfähigkeit, sich von ihrer Arbeit abzugrenzen. Diese Fähigkeit aber ist in einem Kontext entgrenzter Arbeit, die keine Rücksicht mehr auf Raum oder Zeit nimmt, von zentraler Bedeutung. Das Setzen von Grenzen ist gerade bei immaterieller Arbeit nicht immer einfach, da weder deren Qualität noch deren Wirkung klar ersichtlich sind und so die Beurteilung der Arbeit zu einem wichtigen Bestandteil des Selbstmanagements wird.

Die Anforderungen an die Top-Manager, -Berater und -Politiker steigen in Zukunft, weil die Arbeit durch das Vordringen des Internets und die Vollendung der Globalisierung noch einmal beschleunigt wird. Trotzdem dass vielerorts die Vorzüge der Teilzeitarbeit gepredigt werden, wird sich die Vollbeschäftigung hartnäckig als Ideal des Erfolgs halten. Arbeit und Freizeit wachsen durch Digitalisierung und Augmented Reality noch mehr zusammen. Zudem steigt durch die Digitalisierung die Transparenz der Arbeit. Es wird sichtbar, wer welche Arbeit verantwortet, und wer welche Arbeit in welcher Qualität verrichtet. Die Transparenz erhöht den wirtschaftlichen und sozialen Druck auf Mitarbeitende in exponierten Stellen. Ein Fehler genügt, und man wird in den sozialen Medien verurteilt und Opfer eines Shitstorms.

Das Segment der Unterforderten

Den überforderten Wissensarbeiterinnen stehen die Unterforderten gegenüber. Unterfordernde Arbeit gibt es sowohl in der Wissensarbeit als auch in der handwerklichen und dienstleistenden Arbeit. Unterforderung heisst in erster Linie, dass die Mitarbeitenden durch ihre Arbeit ihre Talente nicht verwirklichen, entfalten und entwickeln können. Das ist häufig auch deshalb nicht der Fall, weil die Mitarbeitenden nicht in die Entwicklung der Produkte und Prozesse des Unternehmens einbezogen oder von der internen Politik ausgeschlossen werden – obwohl sie aufgrund ihrer Erfahrungen häufig sehr viel Wissen haben. Unterforderte Mitarbeitende verweilen in Arbeiten, die sie gerade durch ihre Unterforderung übermüden. Jeder kennt dieses Gefühl, das sich einstellt, wenn die Zeit einfach nicht vergehen will.

Hierarchien sichern Macht, unterbinden kritisches Denken und erschweren den sozialen Aufstieg.

Die Unterforderten finden sich traditionsgemäss an den Fliessbändern und überall dort, wo es Arbeit gibt, die eigentlich keiner machen will. Im Zuge der Digitalisierung wird auch der Verkauf und der Dienstleistungssektor immer mehr von Maschinen bevölkert. Durch den Einsatz der Maschinen hofft das Management, Arbeit billiger beziehen zu können. Im Zuge der Automatisierung werden Mitarbeitende zu Assistenten der Maschinen degradiert, was deren Arbeit repetitiv und langweilig macht. Zudem werden sie in der Freiheit ihres Denkens eingeschränkt. In Flughäfen oder Supermärkten ist ein grosser Teil des Personals zu Quasi-Maschinen geworden. Die repetitive Arbeit geht mit einer niedrigen Entlöhnung einher. Das wirkt sich wiederum negativ auf den Zugang zu Bildung und Netzwerken aus. Wer einmal zum Segment zum Unterforderten gehört, kann sich aus diesem Segment fast nicht mehr befreien.

Die Arbeit der Unterforderten wird also im Gegensatz zu den Überforderten gerade nicht entgrenzt, sondern eingegrenzt. Aufgaben und Aufstiegsmöglichkeiten sind klar eingeschränkt. Die eingegrenzte Arbeit zeichnet sich durch klare Regeln aus, was richtig und falsch ist. Normierungen besagen, was die Mitarbeitenden tun dürfen, sollen und müssen. In Callcentern oder Filialen einer Franchise gibt es kaum Raum für Individualität. Durch präzise Regelwerke wird die Verhaltensvielfalt eingegrenzt, um damit die Kosten zu senken und den Ertrag zu erhöhen. Die Regeln sind am einfachsten verständlich und erträglich, wenn sie Kunden und Mitarbeitenden in Form einer attraktiven Marke präsentiert werden, an die sie ihr Verhalten anpassen sollen. Unabhängig wie sanft die Regeln daherkommen, folgen auf deren Einhaltung doch immer Strafen: Entweder die Entlassung oder die Nicht-Beachtung, die Nicht-Beförderung, die Nicht-Belohnung.

Über die Verteilung von Überforderten und Unterforderten

Unterforderte Mitarbeitende gibt es in allen Unternehmen. Sie sind nicht nur deshalb unterfordert, weil es keine entsprechenden Stellen gibt, sondern auch weil sie aufgrund der Macht der Überforderten keine andere Arbeit erledigen dürfen. Die Mächtigen haben kein Interesse, die sozialen Barrieren zu öffnen. Denn alle, die auf unteren Hierarchiestufen gefangen gehalten werden, können die Mächtigen an der Spitze nicht bedrängen. Hierarchien sichern Macht, unterbinden kritisches Denken und erschweren den sozialen Aufstieg. Die wichtigste Schleuse, die über die Zugehörigkeit zu Überforderten und Unterforderten bestimmt, ist das Bildungssystem. Die absolvierte Bildung entscheidet darüber, welche Kompetenzen man erwirbt, an welchen Schulen jemand lernt, welche weiteren Bildungsmöglichkeiten erlaubt sind und in welchen sozialen Kreisen ein Mensch gross wird.

Die Bildung bestimmt die Fähigkeiten, sich zu reflektieren, sich selbständig neues Wissen anzueignen und Innovationen zu generieren. Diese Fähigkeiten sind zentral in einer digitalisierten Wissensgesellschaft, in der Wissensmanagement und Innovationskraft über den Erfolg entscheiden und Unternehmen die Verantwortung für die Weiterbildung an die Mitarbeitenden delegieren. Wer durch seine Bildung nicht zur Selbstbildung befähigt wird, bleibt zwangsläufig im Segment der Unterforderten und damit auf niedrigen sozialen Stufen der Gesellschaft gefangen. Die Verteilung der Segmente scheint sich in den nächsten Jahrzehnten eher zu verstärken. Denn wie gesehen, geht die repetitive Arbeit mit wenig Lohn, wenig Bildung und wenig Zugang zu sozialen Netzwerken einher.

Die Überforderten sind Gatekeeper, die durch Bildungsinstitutionen und Unternehmenshierarchien die sozialen Aufstiegschancen kontrollieren. Sie werden diese Funktion auch dann wahrnehmen, wenn sie eigentlich überfordert sind und nur mit verschiedenen Techniken des Enhancements bestehen können. Dieser Ungleichverteilung wirkt die Politik entgegen, indem sie die Bildungschancen für alle erweitert. Unternehmen können die betrieblichen Bildungsmöglichkeiten fördern, repetitive Arbeit durch Job Enrichement und Enlargement aufwerten, die Mitarbeitenden durch (digitale) Instrumente an der Weiterentwicklung von Produkten- und Prozessen beteiligen oder Hierarchiestufen abbauen.

Trennlinie 2: Zugang zur Arbeit

Zugang zum Arbeitsmarkt vs. Arbeitslosigkeit

Breiten sich die Maschinen und Algorithmen weiter aus, gehen einerseits Arbeitsplätze verloren, andererseits steigen die Anforderungen an diejenigen Mitarbeitenden, die noch Arbeit haben. Es ist eine alte Frage, ob die Arbeit endlich ist oder nicht. Gegen das Ende der Arbeit spricht, dass der Mensch immer neue Bedürfnisse hat und die Maschinen zu einer Verlagerung der Arbeit führen. Allerdings nimmt die Wirkung der Maschinen exponentiell zu. Durch die nach wie vor steigende Rechenkapazität können die Maschinen in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten. Sie werden kleiner und finden in immer neuen Alltagssituationen Anwendung.

Das Segment der Arbeitenden

Die Menschen haben vorläufig drei Vorzüge gegenüber den Maschinen: Ihre Kreativität, ihre Emotionen sowie ihre handwerkliche Geschicklichkeit. Zudem gelingt es Maschinen bisher nicht, neues Wissen selbständig zu entwickeln. Sie sind zwar schnell und fehlerlos, generieren aber keine Innovation, weil sie bisheriges Wissen nicht sinnvoll neu kombinieren können. Aus diesen Vorzügen leitet sich die zukünftige Arbeit für menschliche Arbeitskräfte ab. Wer sich in Zukunft einen Vorteil gegenüber den Maschinen erarbeiten kann, wird auch in Zukunft arbeiten. Damit der Arbeitsmarkt diese Vorzüge erkennt, braucht es aber immer neue Anstrengungen, um seine Expertise sichtbar zu machen, zu inszenieren, zu beweisen und natürlich auch zu erweitern.

Gut möglich, dass sich die freiwillig und unfreiwillig Arbeitslosen zusammenschliessen und fern der Zivilisation der Arbeitenden nach dem Vorbild des Kibbuz eine alternative Zivilisation aufbauen.

Die Wissensarbeit der Zukunft beruht auf der Fähigkeit bestehendes Wissen aus unterschiedlichen Fachgebieten neu zu kombinieren. Die Digitalisierung macht viele Wissensarbeiterinnen zu Maschinendesignerinnen. Durch ihre Arbeit entwickeln sie neue Maschinen und neue Algorithmen. Das Programmieren ist eine wichtige kreative Tätigkeit der Zukunft. Ergänzend braucht es immer mehr Mitarbeitenden, welche die Maschinen überwachen und bei Fehlverhalten intervenieren. In einer Welt voller Maschinen gibt es immer weniger Menschen, die mit ihren Händen arbeiten können. Aber auch in einer Welt der Maschinen wird es in Zukunft Arbeiten geben, die kein Roboter und kein Algorithmus erledigen kann. Arbeit wird es deshalb auch für diejenigen Menschen geben, die ihr Handwerk besonders gut beherrschen. Zudem stellt sich die Frage, wie fein Roboter arbeiten werden, ob sie also Müll einsammeln, Toiletten reinigen und Regale auffüllen können.

Zu den handwerklich tätigen Menschen gehören auch die Künstlerinnen und Künstler. Sie werden uns auch in Zukunft unterhalten und zum kritischen Denken anregen. In einer visuellen Welt ist es für Unternehmen und Menschen unverzichtbar geworden, sich attraktiv zu präsentieren. Deshalb kommt es zu einer weiteren Annäherung von Kunst und Kommerz. Künstlerische Arbeit stellt sich in den Dienst der Wirtschaft, um Internetseiten zu gestalten, Marken zu inszenieren und Büros zu bauen. Ein letzter wichtiger Zweig der zukünftigen Arbeit ergibt sich im Bereich der Gefühle. Eine Welt voller Maschinen verstärkt das Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Avatare können diese Bedürfnisse nur teilweise befriedigen. Alleine einschlafen wird mit einem Avatar oder in einem berührungsvermittelnden Schlafsack nicht besser. Auch in Zukunft wird ein Arzt eine Krebsdiagnose besser vermitteln können als eine Maschine, auch wenn diese dem Menschen in der Diagnose überlegen ist.

Das Segment der Arbeitslosen

Es gibt zwei Gruppen von Arbeitslosen. Die eine Gruppe besteht aus denjenigen, die auf den offiziellen Arbeitsmärkten keine Arbeit finden. Studien zeigen, dass Arbeitslosigkeit – gerade in einer von Arbeit geprägten Gesellschaft zu psychischen und physischen Beschwerden führt. Arbeitslose klagen über gesundheitliche Probleme, spüren mehr Schmerzen, leiden öfter unter Schlafstörungen, sind häufiger depressiv. Wichtigster Grund für das unfreiwillige Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt ist eine unzureichende oder paradoxerweise eine zu gute Ausbildung. Denn es scheint im Moment, als würde insbesondere die Mitte des Arbeitsmarkts unter den Folgen der Automatisierung leiden. Es können aber auch weichere Faktoren eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Unfähigkeit, sich und seine Kompetenzen zu inszenieren. Auch ein Mangel an digitalen (Sozial)-Kompetenzen wird mehr und mehr Grund zur Disqualifizierung. Zum Segment der unfreiwilligen Arbeitslosen gehören auch alle, die weniger arbeiten als sie eigentlich möchten und in prekären Arbeitsverhältnissen wie Minijobs oder nicht erfolgreicher Selbständigkeit gefangen sind.

Die Digitalisierung gibt ein Tempo des strukturellen Wandels vor, das Individuum, Bildungssystem und Gesellschaft überfordert. Folglich wird auch die strukturelle Arbeitslosigkeit immer grösser. Um Teil der Digitalisierung zu sein, muss man sich, seine Geräte und deren Apps laufend updaten. Diesen – letztlich ökonomischen – Zwang werden sich in Zukunft nicht mehr alle gefallen lassen. Eine zweite Gruppe von Arbeitslosen scheidet deshalb freiwillig aus dem offiziellen Arbeitsmarkt aus. Es sind diejenigen Menschen, die mit dem dominierenden Wirtschaftssystem nicht mehr einverstanden sind und alternative Wege gehen wollen. Unmut über das Wirtschaftssystem kann in Form der Abneigung gegenüber den Maschinen, dem Missmut gegenüber ständiger Datenerhebung, dem Vorwurf fehlender Nachhaltigkeit oder der Verurteilung von übertriebener Profitgier und unnötigem Nationalismus bestehen. Die Verweigerer sind zusammen mit den Vordenkern der wichtigste Treiber einer neuen Kultur der Arbeit.

Verweigern kann man sich auch den durch die Wirtschaft ausgelösten Zwängen zur Beschleunigung, Mobilität und endlosen Erweiterung seiner Fähigkeiten. Der Arbeitsverzicht geht mit einem Konsumverzicht einher. Die Verweigerer werden um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, eine alternative Wirtschaft aufbauen. Sie orientiert sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit, der Entschleunigung und der Selbstverwaltung. Viele dieser Ideen finden in der Sharing-Ökonomie Platz, die den Tausch gegenüber dem Konsum stärker gewichtet. Gut möglich, dass sich die freiwilligen und unfreiwilligen Arbeitslosen zusammenschliessen und fern der Zivilisation der Arbeitenden nach dem Vorbild des Kibbuz oder der Kommune eine alternative Zivilisation aufbauen, beispielsweise in verlassenen Bergdörfern oder in Shrinking Cities. Das würde dazu führen, dass sich die Menschheit in zwei Gattungen unterteilt: Hier die Digitalen, dort die Analogen.

Über die Verteilung von Arbeitenden und Arbeitslosen

Wie viele Menschen in Zukunft Arbeit haben werden, hängt von der zu verteilenden Arbeit und der Anzahl Arbeitnehmenden ab. Diese Zahl wird neben einer potenziellen Schrumpfung der Gesellschaft auch durch Migration beeinflusst. Es stellt sich die Frage, wie viele Arbeitsplätze die Maschinen und Algorithmen tatsächlich zerstören werden. Irgendwann werden wir den Punkt erreichen, an dem Maschinen selbständig neue Maschinen herstellen. Es ist eine zentrale – bisher unterdrückte – politische Frage, wie weit die Maschinen in unsere Unternehmen und damit letztlich in unseren Alltag vordringen sollen. Sollte die zur Verfügung stehende Arbeit immer geringer werden, muss dies kein Horror-Szenario sein. Die Delegation der Arbeit an Maschinen weist auf Szenarien hin, in denen Arbeit und Geld eine andere Rolle spielen. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die Verknappung der Arbeit in Kombination mit der Erhöhung der Anforderungen zu einer erhöhten Angst vor Arbeitslosigkeit führt. Diese fungiert als Schreckgespenst, das sich noch besser für politische Zwecke (miss-)brauchen lässt als die Angst vor fehlendem Wirtschaftswachstum.

Es gibt zwei denkbare Varianten, wie die Arbeitenden mit den Arbeitslosen umgehen. Die Arbeitenden könnten die Arbeitslosen quasi ignorieren oder diese im krasseren Falle ausgrenzen. Das würde zum Entstehen von zwei verschiedenen Zivilisationen führen. Ob die arbeitende oder die nicht arbeitende Bevölkerung gesünder und glücklicher wäre, steht quer zu dem durch das BIP gemessenen Wohlstand. Im Falle einer solchen Trennung der Zivilisationen würde sich die arbeitende Bevölkerung gegenüber der nicht arbeitenden Zivilisation abgrenzen, um nicht zum Opfer von Terror und Raubzügen zu werden. Alternativ könnten die Arbeitenden sich zur selben Gesellschaft wie die Arbeitslosen zählen und den erarbeiten Reichtum teilen. Das setzte umfassende Transferzahlungen von den Arbeitenden zu den Nicht-Arbeitenden voraus, wodurch der Anreiz 100% zu arbeiten gesenkt, und gleichzeitig die zur Verfügung stehende Arbeit auf mehr Arbeitende verteilt würde.

Als Gesellschaft müssten wir in einem solchen Szenario unbedingt eine Antwort finden, was mit jenen Menschen passiert, die keine Arbeit im offiziellen Arbeitsmarkt finden. Es bräuchte Modelle, um die Tage mit Sinn und Beschäftigung zu füllen. Die Arbeitslosen zuhause vor ihren Bildschirmen auf Transferzahlungen – und damit Konsummöglichkeiten – warten zu lassen, wäre sicher die schlechteste aller Möglichkeiten. Eine bessere Möglichkeit wäre ein gesellschaftliches „Ämtli-System“, bei dem die für das Funktionieren einer Gesellschaft notwendigen Aufgaben in einem Turnus an die eigentlich Arbeitslosen verteilt würden. Diese Idee wird seit längerem im Form der Bürgerarbeit diskutiert. Die zu vergebenden Aufgaben entstehen in der Landwirtschaft, in der Pflege und Reinigung des öffentlichen Raum, in der digitalen Verteidigung, in der Unterhaltung der Gesellschaft, in der Förderung zwischenmenschlicher Kontakte, der Pflege älterer Menschen, in der Bildung oder in der Seelsorge.

Trennlinie 3: Digitalisierung der Arbeit

Digitalisierte vs. nicht digitalisierte Arbeit

Durch das Vordringen des Internets in alle Lebensbereiche wird auch die Arbeit digitalisiert. Je mehr Arbeit vor einem Bildschirm beziehungsweise mehreren Bildschirmen stattfindet, desto mehr wird jeder Arbeitsschritt digital dokumentiert. Jeder Klick wird Teil der persönlichen digitalen Datenspur und damit Gegenstand des datenorientierten Managements. Doch je mehr unser Verhalten digitalisiert wird, desto stärker wird die Bewegung, die sich gegen die ständige Überwachung, beziehungsweise die Transparenz unseres Denkens und Verhaltens einsetzt.

Das Segment der digitalisierten Arbeit

Wissensarbeit wird durch die Verlagerung von Kommunikation und Wissensspeichern in das Internet in Zukunft noch stärker digitalisiert. Wissensarbeitende verbringen den ganzen Tag vor Bildschirmen. Sie recherchieren, programmieren, mailen, chatten, pflegen Netzwerke, inszenieren sich und ihre Fähigkeiten. Auch alle Vorgänge auf unseren Smartphones hinterlassen Spuren. Die Geräte werden noch enger zusammenwachsen, Realität und Virtualität durch Datenbrillen und -uhren noch mehr miteinander verschwimmen. Alle diese Daten werden Manager analysieren, um Kosten zu senken und Profite zu erhöhen- Einst könnten sie auch die Daten unseres Körpers verwenden, um HR-Entscheide zu treffen. Bereits heute werden Telefonate nach dem Stressempfinden ausgewertet, in Zukunft könnten Recruiter vor der Einstellung einen Gentest oder ein Reporting der Mini-Roboter verlangen, die in Blutbahnen durch unseren Körper gleiten.

Aber auch Arbeit, die weniger hohe Anforderungen an das Wissensmanagement oder die Innovationskraft der Mitarbeitenden stellt, wird zunehmend digitalisiert. Überall dort, wo das Verhalten der Mitarbeitende digital unterstützt oder überwacht wird, wird ein datenbasiertes Management möglich. Die Maschinen überwachen, kontrollieren und analysieren jeden Arbeitsschritt. Zu denken ist an jegliche Arbeit an einem Fliessband, in einem Callcenter oder im Verkauf, wo das Verhalten beziehungsweise der Erfolg der Mitarbeitenden mit Hilfe von Zahlen gemessen werden kann (Durchlaufzeiten, Anzahl Abschlüsse, Fehlerquote, etc.). Bestehen keine Verhaltensdaten, können diese indirekt durch die Umsätze oder die Zufriedenheit der Kunden berechnet und den Mitarbeitenden zugeordnet werden. Je billiger die Kosten der Überwachung, desto grösser die Versuchung der Überwachung.

Die vom Management gesammelten Daten bilden die Basis eines datenbasierten HRM. Die Daten geben Hinweise für die Rekrutierung, die Beförderung oder die Personalentwicklung. Aus den digitalen Spuren erkennen Unternehmen, wer für welche Themen Experte ist, wer nahe am Burn Out steht oder wer das Zentrum der Kommunikation bildet. Die Daten zeigen, wer welchen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet und ordnen die Mitarbeitenden in Ranglisten. Die Rangierung verstärkt den internen Wettbewerb, führt also zu einer steigenden Ökonomisierung der Arbeit. Algorithmen könnten in Zukunft einen grossen Teil des mittleren Managements überflüssig machen, liegt doch deren zentrale Aufgabe im Zusammenzug und Vorbereiten von Entscheiden. Das Sammeln und Verdichten von Informationen ist aber eine Aufgabe, bei der die Maschine dem Menschen überlegen ist.

Das Segment der nicht-digitalisierten Arbeit

Es wird auch in Zukunft Arbeit geben, die sich der Digitalisierung entzieht. Das ist zunächst einmal dort der Fall, wo keine Bildschirme das Verhalten der Mitarbeitenden erfassen. Zu denken ist etwa an handwerkliche oder künstlerische Arbeit, wo der Erfolg der Arbeit schlecht in Zahlen ausgedrückt werden kann, sondern vielmehr einem subjektiven und situativen Gefühl entspricht. So kann der Erfolg eines Künstlerin oder eines Coiffeurs nur rückblickend durch die Zufriedenheit der Kunden gemessen werden. Auch die Arbeit eines Gärtners oder einer Lehrerin ist nur vage mit Zahlen messbar. Diese Beispiele zeigen, dass es Arbeit gibt, bei der die Effizienz eine untergeordnete Rolle spielt beziehungsweise deren Erhöhung absurd oder kontraproduktiv wäre.

Die Daten zeigen, wer welchen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet und ordnen die Mitarbeitenden in Ranglisten.

Zum anderen wird es zunehmend Unternehmen gehen, die bewusst auf das Sammeln und Auswerten von Daten verzichten. Von dieser Absage erhoffen sich die Manager einen positiven Einfluss auf die Unternehmenskultur. Die Mitarbeitenden sollen das Gefühl haben, dass das Management ihnen vertraut, dass der Wettbewerb innerhalb des Unternehmens nicht unnötig angeheizt wird, und dass die Unternehmensführung im Zweifelsfalls auf Menschen und nicht Maschinen setzt. Der Verzicht auf Data Mining könnte von einem unabhängigen Verein bezeugt werden. Ein Label würde dem Unternehmen den vorbildlichen Umgang mit Daten beziehungsweise den völligen Verzicht auf ein datenbasiertes Management attestieren. Diese Auszeichnung könnte im Employer Branding verwendet werden, um sich als Arbeitgeber von datendurchdrungenen Unternehmen zu distanzieren.

Zu einem gewissen Teil werden sich auch kleinere Unternehmen und Selbständige vom Datenwahn distanzieren. Doch je mehr Arbeit vor einem Bildschirm passiert, desto weniger kann man sich dem gesellschaftlichen Trend zum Data Mining entziehen. Der Ausbruch aus der Daten-Diktatur ist nur zum Preis der Unsichtbarkeit und potenzieller Beschädigung des künftigen Erfolgs zu haben. Denn das Internet spiegelt Arbeit und Persönlichkeit und füllt dadurch den Datentopf, den Recruiter und Scouts für ihre Entscheidungen verwenden. Jeder Post, jeder publizierte Text, jeder Tweet, jede Verbindung auf XING wird Teil der Datenflut, die zwangsläufig für Bewertungen genutzt wird. Je weiter oben man in Google erscheint, je höher der Klout-Score, je mehr Follower und Friends man hat, desto grösser ist die zukünftige Erfolgswahrscheinlichkeit.

Über die Verteilung von digitalisierter und nicht-digitalisierten Arbeit

Die Digitalisierung der Arbeit schreitet umso mehr fort, je mehr Kosten- und Innovationsvorteile durch Maschinen und Algorithmen erzielt werden. Je weiter die Maschinen in unser Leben drängen, desto mehr wird der Mensch – durch Chips, das Hochladen seines Gehirns etc. – selbst zur Maschine. Diese Wahrscheinlichkeit steigt, wenn die Maschinen billiger werden, datenbasierte Unternehmen im Wettbewerb erfolgreicher sind und in der Gesellschaft eine datenliberale Kultur herrscht. Wenn Maschinen und Algorithmen Kosten- und Innovationsvorteile bringen, werden gerade grosse Konzerne kaum zögern, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, Algorithmen statt Manager anzuheuern und die Arbeit der übrig gebliebenen Mitarbeitenden durch Maschinen zu überwachen. Die Wirtschaft ist bis heute ein geldorientiertes System, in dem Entscheide daran gemessen werden, ob sie die finanzielle Situation eines Unternehmens verbessern.

Wie weit die Maschinen und Algorithmen in die Arbeitswelt vordringen, hängt letztlich von der Stärke der Offline-Bewegung ab. Es ist zu erwarten, dass nicht nur die Offline-Bewegung als solche Bedeutung gewinnt, sondern auch die Slow-, Age of Less-, Nachhaltigkeits-, Sharing- und Anti-Kapitalismus-Bewegungen sich annähern und die Digitalisierung als politisches Feld entdecken. Die Gesellschaft wird erkennen, dass die Digitalisierung des Menschen - und damit auch seiner Arbeit - die wichtigste politische Frage der nächsten Jahrzehnte überhaupt darstellt. Bereits in früheren Zeiten führte die Automatisierung der Arbeit zu politischen Bewegungen. So bekämpften die Ludditen die Webstühle, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Analog ist eine Neo-Luddismus Bewegung zu erwarten, die sich durch Anschläge, Demonstrationen, Boykotte sowie die Initiierung von Gegenbewegungen gegen Roboter und Algorithmen zur Wehr setzt.

Es bleibt aber abzuwarten, ob die Offline-Bewegung ein elitäres Phänomen ist. Denn nicht alle Mitarbeitenden werden es sich erlauben können, sich der Digitalisierung zu entziehen und längst werden zahlreiche Menschen defacto von Menschen beherrscht. Immer mehr Unternehmen werden darauf bestehen, dass das Verhalten ihrer Mitarbeitenden vollständig transparent ist. Wer in einem solchen Szenario seine Daten nicht zur Verfügung stellt, muss mit Bussen oder Sanktionen wie Lohnkürzungen, Nicht-Beförderung oder Entlassung rechnen. Die Arbeitgeber, die auf Data Mining verzichten, werden aufgrund der erwarteten Kosten- und Innovationsvorteile eine alternative Minderheit sein. So gesehen ist der Entzug von der digitalen Überwachung ein rebellischer Akt, den sich nicht alle trauen werden. Es ist eine zentrale Machtfrage der Zukunft, wer die Maschinen kontrolliert und wer von den Maschinen kontrolliert wird.

Trennlinie 4: Sinnstiftung der Arbeit

Sinnerfüllte vs. sinnleere Arbeit

Eine andere wichtige Trennlinie der zukünftigen Arbeit ist die Sinnstiftung. Nicht alle haben das Vorrecht, durch Arbeit Sinn zu erfahren. Während die Arbeit für einen Teil der Bevölkerungen durch die zu bewältigenden Aufgaben, das soziale Umfeld oder den Zweck der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Sinnfindung liefert, ist sie bei anderen nur ein notwendiges Übel. Sie kann keinen Sinn stiften, weil sie zu wenig herausfordernd, langweilig, sinnlos oder gar entwürdigend ist.

Das Segment der sinnstiftenden Arbeit

Arbeit stiftet Sinn, wenn man das Gefühl hat, etwas wertvolles zu tun. Dieser Wert folgt aus dem subjektiven Werte- und Interessensgefüge. Ich gewinne Sinn, wenn mich durch meine Arbeit verwirklichen kann, mich die Arbeit und deren Auswirkungen berühren, und ich mich mit den Werten meines Arbeitgeber identifizieren kann. Andere finden durch extrinische Anreize wie Geld, Status oder Macht Sinn. Was also für die einen sinnvoll ist, entbehrt für die anderen jeglichen Sinn. Sinn kann aus unterschiedlichen Quellen gewonnen werden: aus dem Unternehmenszweck, aus den Bedürfnissen die ein Produkt befriedigt, aus dem Produkt und seiner Ästhetik selbst oder auch durch die soziale Gemeinschaft, an der man durch die Arbeit teilnimmt. Das subjektive Sinnempfinden ist vom gesellschaftlichen Diskurs abhängig, der gewissen Arbeiten einen hohen und anderen einen tiefen Wert zuweist.

In der späten Wissensgesellschaft hat die Arbeit aufgrund der Sinnstifung auch eine hohe Bedeutung für die Identität. Viele Menschen haben durch den Bedeutungsverlust von Religion, Familie und lokaler Gemeinschaft keine andere Sinnquelle mehr als ihre Arbeit. Deshalb stürzen sie sich noch so gerne in die Arbeit, um keine innere Leere aufkommen zu lassen, um sich selber wertschätzen zu können und sich sozial eingebettet zu fühlen. Die Sichtbarkeit der Arbeit und ihrer Erfolge fördert die Sinn- und Identitätsstiftung. Wenn ich sehe, welche Auswirkungen meine Arbeit hat, kann ich meine Tätigkeit einfacher mit einem Sinn verknüpfen. So ist die Reparatur eines Wasserhahns, die Konstruktion einer Mauer, das Malen eines Bildes oder die Operation eines Weisheitszahns vermutlich sinnstiftender als das Hin- und Herschieben von Daten in einem Büro unter der Erdoberfläche.

Wer durch die Arbeit Sinn erfährt, dem wird das Arbeiten leichter fallen. Man schaut weniger auf die Uhr, die Zeit vergeht schneller, man geht gerne arbeiten. Weil die Arbeit einen hohen Teil der Tageszeit einnimmt, spielt sie eine zentrale Rolle im Glücksempfinden. Im positiven Fall wird Arbeit zu einem Vergnügen, zu einer Entdeckungsreise, zum zentralen Lebensinhalt. Zudem hat man das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln und weiterzubilden. Die Arbeit ist Berufung. Arbeit ist in einem solchen Szenario nicht etwas das man muss, sondern darf. Je mehr die Arbeit Sinn macht desto grösser wird die Gefahr, dass Arbeit und Freizeit zusammenwachsen und desto wichtiger wird es, selbstbestimmt Grenzen zu ziehen. Durch das Eingrenzen schafft man Ruhe für Erholung und das Leben jenseits der Arbeit – für Freunde, Sport, Parties, Ausflüge und Reisen.

Das Segment der sinnleeren Arbeit

Arbeit kann nur schwer Sinn stiften, wenn sich Mitarbeitende nicht mit ihrem Arbeitgeber identifizieren können. Identifikation ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn man sich nicht hinter die Unternehmensphilosophie, die produzierten Produkte, die vorherrschenden Managementprinzipien, die Entlöhnungspolitik oder die Herkunft und die Werte des Unternehmens stellen kann. Arbeit stiftet auch dann keinen Sinn, wenn jemand Tätigkeiten nachgehen muss, in denen er keinen Sinn erkennt. Das ist häufig bei repetitiven Tätigkeiten der Fall, bei denen die Mitarbeitenden keinen eigenen Beitrag leisten und sich nicht wertgeschätzt fühlen. Noch ungünstiger in Bezug auf die Sinnstiftung ist repetitive Arbeit, die zusätzlich mit Produkten verbunden ist, die man selbst nicht gutheisst.

Viele Menschen gehen heute einer Arbeit nach, die sie nicht mehr erfassen oder verstehen. Die Digitalisierung der Arbeit fördert diese Entwicklung, weil die Arbeit vor dem Bildschirm nicht mehr mit den Sinnen erfahrbar und in einen globalen unübersichtlichen Kontext eingebunden ist. Diese Entkoppelung von Arbeit und Lebenswelt ist Folge der Spezialisierung der Arbeit. Arbeitsprozesse werden aus ökonomischen Gründen so zerstückelt, dass das Ganze nicht mehr sichtbar ist. Das ist sowohl bei physischen Gütern der Fall, wo Einzelteile an Fliessbändern bearbeitet werden, die dann vielleicht am anderen Ende der Welt zusammengefügt werden. Die Fragmentierung der Arbeit findet aber auch bei Dienstleistungen statt, wo zum Beispiel bei Versicherungen oder Banken viele Produkte undurchsichtig und unverständlich geworden sind.

Auch wenn man an Gütern arbeitet, die man selbst nicht kaufen kann oder kaufen will, erschwert dies die Sinnstiftung. Wer aber in seiner Arbeit keinen Sinn findet, empfindet diese als lästige Pflicht. Ohne Sinnstiftung wird Arbeit zu einem Übel, dem man ohne Freude nachgeht. Der Lohn ist wichtiger als die Tätigkeit. Man schaut ständig auf die Uhr und will endlich die Sachen packen. Ein solches passives Abwarten begünstigt Lustlosigkeit, innere Leere und kann zum Bore-Out führen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie sinnvoll es ist, wenn Mitarbeitende in Büros Stunden absitzen, anstatt einer Tätigkeit nachzugehen, die ihnen Freude macht und mit Hilfe derer sie sich entfalten, erholen oder weiterentwickeln können. Gerade dort, wo Mitarbeitende innovativ sein sollten, sind fixe Präsenzpflichten kaum mehr ein taugliches Managementmodell.

Über die Verteilung von sinnstiftender und sinnleerer Arbeit

Sinnstiftung durch die Arbeit ist in der Tendenz ein elitäres Phänomen. Denn sie setzt voraus, dass man sich seine Arbeit selbst auswählen kann. Tatsächlich können sich nur wenige Menschen ihre Arbeit wirklich aussuchen. Die Wahl setzt meist einen langen Aus- und Weiterbildungsweg voraus. Dieser erlaubt durch den Aufbau vergleichsweise seltener Kompetenzen eine gewisse Marktmacht und dadurch die Auswahl zwischen mehreren Arbeitgebern. Zudem braucht man für den Erwerb der Marktmacht ein ausgeprägtes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, also die Gewissheit, dass man sich nicht anpassen muss, um erfolgreich zu sein. Wer keine seltenen Kompetenzen hat und nicht bereit ist auszubrechen, muss sich notgedrungen dem System fügen und dessen Regeln befolgen. Je mehr man sinnlos empfundenen Regeln folgen muss, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die innere Energie und Kreativität erlöschen.

Sinnstiftung durch die Arbeit ist ein elitäres Phänomen. Denn sie setzt voraus, dass man sich seine Arbeit selbst auswählen kann.

Durch Bildung erhöht eine Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen kann. Sinnvoll heisst allerdings nicht, dass alle Menschen nur noch mit dem Kopf arbeiten, denn auch aus dem Handwerk oder aus emotionaler Arbeit resultiert Sinn. Möglicherweise eignen sich nicht-digitale und nicht-geistige Tätigkeiten sogar besser um Sinn zu stiften, weil das Ergebnis der Anstrengung am Ende des Tages sichtbar wird. Wichtig ist die Resonanzerfahrung bei der Arbeit, also das Gefühl, dass die Arbeit nicht im leeren Raum statt findet. Unternehmen beinflussen durch die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze, die Delegation von Macht und Verantwortung sowie die Wertschätzung ihrer Mitarbeitenden die Resonanzerfahrungen ihrer Mitarbeitenden. Das Vertrauen des Managements in die Mitarbeitenden spielt eine entscheidende Rolle. Es wird interessant zu beobachten sein, ob die heutigen Generationen Y, Z und Alpha anders führen werden, wenn sie einst die Top-Management bekleiden.

Maschinen könnten dazu führen, dass ein grosser Teil heute sinnloser Arbeit verschwindet. Arbeit am Fliessband wird es in Zukunft vielleicht nicht mehr geben, weil Roboter alle repetitive Arbeitsschritte erledigen. Allerdings ist es wiederum elitär, wenn man jeglicher repetitiver Arbeit den Sinn abspricht. Sinn ist eine subjektive Zuschreibung und kann ebenso aus einer einfachen Tätigkeit oder dem sozialen Umfeld gewonnen werden, in dem die Arbeit stattfindet. Trotzdem: Je wirksamer die Maschinen und Algorithmen werden, desto mehr werden wir als Gesellschaft vor die Wahl gestellt, ob wir lieber in einer Gesellschaft mit wenig sinnlosen Jobs und vielen Arbeitslosen oder in einer Gesellschaft mit wenig Arbeitslosen und vielen sinnlosen Jobs leben wollen. Sinnvolle Arbeit für alle könnte ein politisches Ziel jenseits von Wachstum und Vollbeschäftigung sein.

Trennlinie 5: Sichtbarkeit der Arbeit

Sichtbare vs. unsichtbare Arbeit

Studien zur Zukunft der Arbeit drehen sich in der Regel um die sichtbare, bezahlte Arbeit. Dabei gilt die Faustregel, dass die Sichtbarkeit der Arbeit mit ihrem Status einhergeht. Allerdings führt die Sichtbarkeit der Arbeit auch dazu, dass sie einfach überwacht und kritisiert werden kann. Jenseits der Sichtbarkeit gibt es eine Fülle von Arbeit, die ausserhalb der Öffentlichkeit vollzogen wird. Diese unsichtbare Arbeit setzt sich aus jener Arbeit zusammen, die von der Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird und jener Arbeit, die eigentlich nicht erlaubt ist.

Das Segment der sichtbaren Arbeit

Im Segment der sichtbaren Arbeit gibt es eine klare Zuordnung der Arbeit und ihrem sozialen Status. Der Status hängt davon ab, wie hoch die Gesellschaft eine gewisse Tätigkeit wertschätzt, wie viele Bildungsinvestitionen für die Ausübung einer Arbeit nötig sind, und ob die Arbeit die Lebensqualität von anderen Menschen beeinflusst. Dieser Einfluss drückt sich zum Beispiel in der Führungsspanne einer Managerin aus. Je weiter man im unternehmerischen Leiterli-Spiel steigt, desto mehr Achtung geniesst man. Auch Künstlerinnen und Politikerinnen beeinflussen viele andere Leben, wodurch deren Arbeit sichtbarer wird. Der Status hängt letztlich davon ab, wie viel Macht man über andere Menschen ausübt. Diese Macht erlaubt es auch, den Status der eigenen Arbeit aufzuwerten.

Welche Arbeiten die Gesellschaft wertschätzt, hängt von antizipierten Gefahren der Zukunft, sozialen Feindbildern und der Bedeutung einer Arbeit für die wirtschaftliche Prosperität ab. Die Wertschätzung spiegelt sich im Lohn ebenso wie in der Medienpräsenz und der Tonalität deren Berichterstattung. Dabei gibt es Zyklen, in denen die gesellschaftliche Anerkennung derselben Arbeit grösser und kleiner wird. So haben die 90er eine Abwertung des Lehrerberufs, die 00er eine Abwertung der Banken gebracht. Der zukünftige Status einer Arbeit hängt zudem vom Verhältnis von menschlicher und maschineller Arbeit ab. Den geringsten sozialen Stellenwert hat jene Arbeit, bei der Maschinen ohne Eigenleistung mit Daten abgespiesen werden. Der Status steigt bei Tätigkeiten, bei denen Maschinen und Algorithmen kontrolliert werden. Den höchsten Status hat jene Arbeit, bei der Maschinen und Algorithmen designt und weiterentwickelt werden.

Je mehr Status eine Arbeit geniesst, desto besser wird sie im Internet dokumentiert, durch die Medien portiert und durch Beobachter kommentiert. Das ist insbesondere bei Wissens- und Kreativarbeiterinnen der Fall, die ihre Texte, Fotos, Homepages etc. durch das Internet schleusen. Aber auch Handwerker, denen es gelingt, ihre Arbeit sichtbar zu machen, profitieren von den positiven Effekten der Sichtbarkeit. Arbeitsleistungen, die im Internet nicht existieren, suggerieren durch ihre Unsichtbarkeit einen geringen sozialen Stellenwert. Nur die Arbeit der obersten Elite von Politikern, Geheimdienstlern und Top-Managern bleibt aufgrund von Spionage- und Diebstahlgefahr sowie zwecks Vermeidung öffentlicher Kritik ebenfalls offline. Die digitale Sichtbarkeit der Arbeit wirkt selbstverstärkend. Wenn Arbeit online sichtbar ist, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen dafür interessieren. Aus der digitalen Sichtbarkeit der Menschen und ihrer Projekte entstehen neue Netzwerke und Projekte.

Das Segment der unsichtbaren Arbeit

Zur unsichtbaren Arbeit gehört zunächst alle Arbeit ausserhalb der Erwerbsarbeit. Zu denken ist an Arbeit im Haushalt und in der Familie oder an sämtliche Freiwilligenarbeit. Diese Tätigkeiten werden auch als dritter Sektor bezeichnet, weil sie weder zur Wirtschaft noch zum Staatswesen gehören. In diesen Bereichen wird Arbeit geleistet, ohne dass sie angemessen entschädigt oder gewürdigt würde. Für die Gesellschaft bleibt diese Arbeit intransparent, weil sie weder in der Öffentlichkeit sichtbar ist, noch auf irgendeinem Markt gehandelt wird, noch Eingang in die Statistik findet. Unsichtbar ist die Arbeit auch deshalb, weil sie kaum Gegenstand der Politik oder der Medien ist. Mit der Unsichtbarkeit kann, muss aber nicht eine fehlende Sinnhaftigkeit und Wertschätzung der Arbeit einhergehen. Bei unsichtbarer Arbeit ist die Gefahr gross, dass die Resonanzerfahrung und damit auch die erhoffte Anerkennung ausbleiben.

Zur unsichtbaren Arbeit gehört die Arbeit des Schwarzmarktes. Es handelt sich um jene Arbeit, die zwar dem Konsumenten fakturiert, aber am Staat vorbei geschmuggelt wird. Man denke an Tierärzte, die ohne Rechnung operieren, an Handwerker, die reparieren ohne zu fakturieren, an Serviceangestellte, die ihr Trinkgeld nicht versteuern. Auch der illegale Konsum von Kultur durch unbezahlte Downloads führt zu nicht bezahlter künstlerischer Anstrengung. Durch Schwarzarbeit wird Betrug an der Gesellschaft begangen, weil diese um ihre Steuererträge gebracht wird. In der Nähe des Schwarzmarkts befindet sich die Arbeit, die in der Illegalität erledigt wird. Wer in einer illegalen beziehungsweise kriminellen Organisation arbeitet, erhält kaum einen Lohnausweis, auf dem Netto- und Bruttolohn ausgewiesen werden. Dasselbe gilt für alle, die ihr Geld mit Prostitution oder dem Verkauf von Drogen verdienen.

Die unsichtbare Arbeit umfasst schliesslich auch einen grossen Teil der digitalen Wissensarbeit. Viele Wissensarbeiterinnen leiden darunter, dass ihre Arbeit unsichtbar ist und sie am Abend mit einem Gefühl der Leere nach Hause fahren. Sie arbeiteten den ganzen Tag vor einem Bilschirm, ohne dass ein Fortschritt oder ein Ergebnis sichtbar würde. Durch Wissensarbeit entsteht in vielen Fällen kein Produkt, das man mit den Händen fassen oder mit den Sinnen erfahren könnte. Alles was nach einem langen Bürotag übrigbleibt, sind ein paar zusätzliche Buchstaben und Zahlen im digitalen All. Nur einigen Exponenten der Wissensarbeit ist es vergönnt, die Arbeit mit ihrem Namen zu unterschreiben, in den grossen Medien zu platzieren und eine Wertschätzung ihrer Arbeit zu erfahren. Die anderen Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiten sind, wie die Bürokraten in Kafkas Prozess, irgendwo in einer entmaterialisierten Administration gefangen.

Über die Verteilung von sichtbarer und unsichtbarer Arbeit

Weil Status, künftiger Erfolg und die Wertschätzung von der Sichtbarkeit Arbeit abhängen, sollten sich so viele Menschen wie möglich um eine Sichtbarkeit ihrer Arbeit im Netz bemühen. Die Sichtbarkeit der Arbeit ist nicht Grundlage, dass die Arbeit wertgeschätzt wird, sondern auch dass Tauschhandlungen zustande kommen, seien diesen nun mit Erwerbsarbeit verknüpft oder nicht. Wer im Netz präsent ist, kann darauf hoffen, dass er gesehen und anerkannt wird. Der Platz im Netz ist unbeschränkt, deshalb sollte jede Arbeit ein digitales Spiegelbild erhalten. Allerdings geht die Sichtbarkeit der Arbeit wiederum mit ihrer Digitalisierung einher, was wie weiter oben bemerkt, deren Ökonomisierung stärkt. Zudem ist unsere Aufmerksamkeit beschränkt. Es ist also eine Illusion, dass jede digitale Präsenz die erhofften Besuche erhält.

Der Platz im Netz ist unbeschränkt, deshalb sollte jede Arbeit ein digitales Spiegelbild erhalten.

Die Zukunft könnte eine Aufwertung der unsichtbaren Arbeit bringen. Mit der Sharing-Econmy wird ein Wirtschaftssystem bezeichnet, in dem wirtschaftliche Güter getauscht statt verkauft werden. Es gibt keinen Grund, warum die Sharing-Economy beim Tausch und gemeinsamen Konsum von physischen Produkten aufhören sollte. Bereits gibt es im Internet zahlreiche Plattformen, auf denen auch Dienstleistungen getauscht werden. So kann man auf classery sein Wissen und seine Fähigkeiten mit anderen Mitgliedern tauschen. Durch diese Sichtbarkeit und die möglichen Tauschaktionen steigert sich der Anteil der sichtbaren Arbeit. Rasenmähen könnte gegen Kuchenbacken und Putzen gegen Autowaschen getauscht werden. Das Netz verleiht auch der illegalen Arbeit mehr Beachtung, sei es durch Quasi-Legalisierung des Verbotenen (z.B. Drogenhandel) oder durch die mediale Präsenz von aus der Öffentlichkeit verbannten Arbeit (z.B. Pornographie).

Je mehr die sichtbare Arbeit nach ökonomischen Kriterien verteilt wird, je weniger Menschen im sichtbaren Arbeitsmarkt Platz finden, je mehr Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer Nationalität aus dem sichtbaren Arbeitsmarkt gedrängt werden, desto grösser wird der Anteil der Menschen, die im unsichtbaren Arbeitsmarkt am Rand der Legalität arbeiten. Das Verdrängen führt zu Wut, Enttäuschung und Einsamkeit – und damit zu potenzieller Gewalt. Es ist deshalb eine gesellschaftliche Aufgabe so viel Arbeit wie möglich sichtbar zu machen. Das Gefüge von sichtbarer und unsichtbarer Arbeit gerät umgekehrt auch dann in Bewegung, wenn die unsichtbare Arbeit aufgewertet wird. Das kann passieren, indem vorher illegale Arbeit legalisiert oder der soziale Stellenwert der unsichtbaren Arbeit aufgewertet wird. Jegliche digitale Präsenz erhöht die Chance auf Wertschätzung, sei es auch nur dann, wenn die Arbeit durch Anwendungen der Quantified-Self-Bewegung vom Individuum selbst mehr wertgeschätzt wird.

Trennlinie 6: Organisationsform der Arbeit

Arbeit im Unternehmen vs. Arbeit in der Cloud

Das Internet ermöglicht neue Organisationsformen der Arbeit zwischen Markt und Hierarchie. Das Internet stärkt durch die Zentralisierung der Information dezentrale Organisationsformen der Arbeit. Kooperation ist heute problemlos über das Internet möglich. Kommunikation wird durch eMail, Chat, Social Media und Videokonferenzen orts- und zeitunabhängig. Folglich verliert die Hierarchie als Organisationsform zugunsten des Netzwerks an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen organisieren sich nach dem Prinzip der Cloud, wobei der Bestand der fix Angestellten reduziert und gleichzeitig das Netzwerk der Zulieferer erweitert wird.

Das Segment im Unternehmen

Die Veränderungs- und Innovationsfähigkeit gehören zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Unternehmens. Früher wurden Mitarbeitende samt ihrer Innovationsfähigkeit durch langfristige Verträge an das Unternehmen gebunden. Das Internet senkt nun aber die Transaktionskosten für die externe Beschaffung von Humankapital. Das erhöht den Anreiz, Wissen und Innovation auf dem globalen Markt zu beschaffen, statt durch Verträge an das Unternehmen zu binden. Dadurch stehen weniger die Mitarbeitenden, als vielmehr deren Wissen und Innovationsfähigkeit im Zentrum des ökonomischen Interesses. Unternehmen versuchen folglich die Länge der Arbeitsverträge zu beschränken. Sie organisieren die Arbeit in Projektverträgen, die ihnen kurzfristig Zugriff auf die gesuchten Fähigkeiten und immer wieder neue Innovationsträger verschaffen. Zudem senken temporäre Verträge die Risiken von langfristig kostspieligen Fehlbesetzungen.

Das Internet senkt die Transaktionskosten der Arbeit. Das erhöht den Anreiz, Wissen und Innovation auf dem globalen Markt zu beschaffen statt durch Verträge an das Unternehmen zu binden.

Durch die Zunahme von Projektverträgen wird der Kernbestand der Mitarbeitenden abgebaut. Die Belegschaft wird zunächst auf das Top Management reduziert, also auf jene Mitarbeitenden, die das Unternehmen strategisch weiterentwickeln beziehungsweise in der Öffentlichkeit repräsentieren. Unternehmen binden auch jene Arbeitskräfte langfristig an sich, von denen sie sich eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erhoffen. Diese Mitarbeitenden bilden quasi das Gehirn und die Seele des Unternehmens. Zum stabilen Kern des Unternehmens gehören auch jene Mitarbeitenden, die über die wichtigsten Kundenbeziehungen verfügen. Sie sichern dem Unternehmen das finanzielle Überleben, wobei ein Wechsel dieser Mitarbeitenden immer eine Gefährdung der Stabilität des Unternehmens bedeutet. Das langfristige Binden der vermeintlich wichtigen Mitarbeitenden verhindert zudem, dass diese zur Konkurrenz abwandern.

Wer sich für eine Aufgabe in einem Unternehmen entscheidet, kommt in Genuss von Sicherheit. Denn die Mitarbeitenden im Unternehmen werden im Gegensatz zu den Mitarbeitenden in der Cloud mit langfristigen Arbeitsverträgen ausgestattet und vom ökonomischen Kampf des Arbeitsmarkts abgeschottet. Innerhalb des Unternehmens wird auf Stabilität und Nachhaltigkeit gesetzt, um die Identität und damit letztlich das langfristige Überleben des Unternehmens nicht zu gefährden. Der interne Markt zwischen den Mitarbeitenden wird zu einem gewissen Grad ausgeschaltet, denn Ziel ist ja hier gerade nicht Veränderung sondern Stabilität. Die Mitarbeitenden sollen frei von Angst unternehmerisch tätig sein. Weil es weniger Hierachiestufen gibt, gewinnen horizontale Karrieren weiter an Bedeutung. Langfristige Verträge befriedigen ebenso das Sicherheitsbedürfnis des Arbeitgebers. Sie verhindern, dass laufend rekrutiert werden muss, garantieren eine gewisse Konstanz in den Teams beziehungsweise der Personal- und Unternehmensentwicklung.

Das Segment in der Cloud

Die Entwicklung hin zum kurzfristigen Arbeitsvertrag wird dadurch begünstigt, dass auch die Mitarbeitenden sich mehr Flexibilität wünschen. Sie wollen ihre Arbeit in zeitlicher, räumlicher, inhaltlicher und sozialer Hinsicht selbst bestimmen und nicht mehr ein Leben lang demselben Arbeitgeber dienen. Die Loyalität gegenüber einer Arbeit ist grösser als diejenige gegenüber einem Arbeitgeber. Die zuliefernden Mitarbeitenden ausserhalb der Unternehmengrenzen sind mehr oder weniger organisiert, sprich mehr oder weniger Teil eines Unternehmens beziehungsweise eben mehr oder weniger selbständig. In den Clouds entstehen neue Organisationsformen, wie die virtuelle Organisation oder Co-Working-Orte, die quer zu bestehenden Unternehmensgrenzen funktionieren. Zu den Mitarbeitenden in der Cloud gehören Wissensarbeiterinnen, Handwerkerinnen, Gefühlsarbeiterinnen und Künstlerinnen, also Programmiererinnen, Designer und Gärtnerinnen. Über die Zugehörigkeit zur Cloud entscheidet nicht die Tätigkeit sondern die Organisationsform, mit der ein Unternehmen seine Kompetenzen organisieren will.

Ein wesentlicher Bestandteil der Kompetenz- und Wissenscloud eines Unternehmens sind Kunden, die in irgendeiner Funktion als Mitarbeitende tätig werden. Besonders gefragt sind die Innovations- und die Marketingtätigkeiten der Kunden. Durch kurzfristige Zusammenarbeit mit ihren Kunden können Unternehmen deren Wissen und Erfahrungen nutzen, um ihre Produkte und Prozesse weiterzuentwickeln. Kunden kennen diese häufig besser als die Mitarbeitenden. Wer sich an einem Produkt oder einem Prozess nervt, ist oft willig, dieses Wissen mit den Schuldigen zu teilen. Zudem eignen sich Kunden, um über ihre Netzwerke positive Botschaften zu verbreiten. Es wird in Zukunft immer mehr Menschen geben, die ihr Geld bei mehreren Unternehmen als Kunden-Mitarbeitende verdienen. Wissensbroker wie atizo helfen Unternehmen und Kundenmitarbeitenden sich zu finden – falls man nicht selbst entsprechende Plattformen und Rekrutierungskanäle pflegen will. Kunden, die ihre Innovationskraft und ihre Netzwerke zur Verfügung stellen, werden in Zukunft entschädigt beziehungsweise an den Erträgen beteiligt.

Mitarbeitende, die sich für die Arbeit in der Cloud und gegen die Arbeit in festen Unternehmensstrukturen entscheiden, gewichten die Freiheit stärker als die Sicherheit. Sie wollen für verschiedene Arbeitgeber arbeiten und ihre Arbeitsbedingungen selber bestimmen. Die Freiheit ermöglicht es, für einige Zeit aus dem Arbeitsmarkt auszusteigen oder einer komplett anderen Arbeit nachzugehen. Umgekehrt sind jene Mitarbeitenden, die ausserhalb der Sicherheitsgrenzen des Unternehmens tätig sind, den Kräften des Arbeitsmarkts voll ausgesetzt und müssen sich immer wieder neu um Projekte bewerben, sich weiterbilden und in Szene setzen. Deshalb leiden viele, sowohl freiwillige als auch unfreiwillige, Mitarbeiterinnen in der Cloud unter prekären Lebensverhältnissen. Viele Hochqualifizierte verdienen weniger als Niedrigqualifizierte in fixen Arbeitsverhältnissen, haben dafür aber wesentlich mehr Freiheiten. Durch die Verbreitung der Smartphones entstehen viele Micro Jobs, in denen Mitarbeitende durch ihre Smartphones Texte übersetzen, Fotos machen oder Datensätze kontrollieren. Das ist die Grundlage für Micro-Outsourcing.

Über die Verteilung von Arbeit im Unternehmen und in der Cloud

Die ökonomischen Kräfte führen gleichzeitig zu Zentralisierung und Dezentralisierung der Arbeit. Dort, wo Effizienz verlangt ist, formieren sich riesige Mega-Konzerne, die Güter in kurzer Zeit in derselben Form und Qualität herstellen. Um die Riesen herum blüht ein riesiges Netz an zuliefernden Mini-Unternehmen auf, die den Konzernen den flexiblen Zugriff auf Wissen, Innovation und Dienstleistungen bieten. Gemeinsam bilden sie die wirtschaftlichen Ökosysteme der Zukunft. Das subjektive Bedürfnis nach Sicherheit oder Freiheit ist ein wichtiger Treiber, der darüber entscheidet, ob jemand in einem Unternehmen oder einer Cloud arbeiteten wird. Mitarbeitende, die eher nach Sicherheit streben, werden sich nach langfristigen Stellen im Unternehmen umsehen. Freiheitsliebende Mitarbeitende werden sich dagegen eher nach einer Stelle ausserhalb des Unternehmens sehnen. Je wertvoller die Kompetenzen, die Erfahrung und das Netzwerk vom Arbeitsmarkt bewertet werden, desto mehr kann man darüber entscheiden, in welcher Organisatoinsform man seine Arbeit einbringen möchte.

Gut möglich, dass sich die Selbständigen wie japanische Kairetsus zusammenschliessen, um gemeinsam Ressourcen zu nutzen und ihre Marktmacht zu erhöhen.

Ein weiteres Segment in der Cloud sind ältere Mitarbeitende, die durch Mandate nach der offiziellen Pensionierung ihre Rente aufbessern, beziehungsweise ausserhalb der Unternehmensstrukturen ihre Arbeit fortsetzen wollen. Durch den demographischen Wandel und die damit verbunden Verlängerung der Lebenszeit wird es immer mehr Ältere geben, die sich in der Cloud eines Unternehmens aufhalten. Auch wer keine Lust hat, sich den Befehlen, Gehirnwäschen und der Datenspionage eines Arbeitgebers auszusetzen, wird in Zukunft auf die Karte Cloud setzen. Neben diesem freiwilligen Ausscheiden aus dem Arbeitsvertrag gibt es aber immer mehr Mitarbeitenden, die aus den langfristigen Arbeitsverträgen aussteigen müssen. Gerade in Branchen, in denen die Arbeit durch die Digitalisierung knapper wird, sehen sich Unternehmen der Versuchung ausgesetzt, Arbeitsverträge zu Projektverträgen zu machen und so ihre Fixkosten zu reduzieren. Mitarbeitende werden dadurch auf ein wirtschaftliches Gut reduziert, soziale Einflussfaktoren werden dadurch für HR-Entscheidungen unwichtiger.

Die Verteilung von Mitarbeitenden in Unternehmen und Clouds hängt auch von den sozialen Sicherungssystemen ab. Sollte sich die Gesellschaft in die Richtung eines Grundeinkommens bewegen, würde dies die Anzahl der Mitarbeitenden in einer Cloud erhöhen. Die Reduktion des ökonomischen Drucks, durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, würde eine Arbeitskultur stärken, die auf Freiheit statt Sicherheit setzt. Man könnte sich neben dem garantierten Einkommen jenen Tätigkeiten widmen, die einem besonders viel Spass machen, besonders sinnvoll erscheinen, besonders gut die Talenten zum Ausdruck bringen – oder umgekehrt kurzfristig besonders viel Geld einbringen. Gut möglich, dass sich die Mini-Unternehmen und Selbständigen nach dem Vorbild der japanischen Kairetsus oder früheren Zünften zusammenschliessen. Das Internet vereinfacht digitale Zusammenschlüsse, um gemeinsam Ressourcen zu nutzen und die wirtschaftliche (Markt-)macht zu erhöhen.

Trennlinie 7: Ertrag der Arbeit

Über das Kapital verfügend vs. dem Kapital ausgesetzt

Die siebte Trennlinie beschreibt die ungleiche Verteilung des Kapitals und damit die ungleiche Verteilung des Ertrags der Arbeit. Während das eine Segment über einen Grossteils des Kapitals verfügt, sind alle anderen dessen Wirkung ausgesetzt. Die Kapitalisten verfügen über die Produktionsmittel, bestimmen also was und wie produziert wird. Sie profitieren von den Renditen, die das Kapital, die Innovation und die Automatisierung abwerfen.

Das Segment der Kapitalisten

Die Kapitalisten verfügen über die gewachsenen Vermögen und die Anteile an den Unternehmen. Weil Kapital mit der Möglichkeit einhergeht, über andere Menschen zu bestimmen, ist auch die Macht ungleich verteilt. In Bezug auf die Arbeit zeigt sich die Macht im Diktat der Arbeitsbedingungen und Entlöhnung. Grund für ungleiche Verteilung des Kapitals sind die Renditen auf dem Vermögenswerten. Sie führen dazu, dass die Kapitalisten ihren Reichtum stetig vermehren, ohne dafür etwas tun zu müssen. Dieser Finanzadel kann, sofern es ihm nicht langweilig wird, einzig von Zinsen, Dividenden und Verkaufserlösen leben, ohne jemals eine Stunde zu arbeiten. Aus einer anderen Perspektive ermöglicht erst eine gewisse Konzentration des Kapitals grosszügige und wirkungsvolle Investitionen, die sowohl für den sozialen als auch den ökonomischen Fortschritt nötig sind. Die Arbeit des Kapitals ist also die Investitionstätigkeit.

Das Erbe ist der wichtigste Faktor, um zu Kapital zu kommen. Die zweite Möglichkeit, um Kapital zu erwerben, ist Arbeit. Je mehr Geld jemand verdient, desto mehr wird er sein Geld investieren und gelangt so in den Besitz von Unternehmensanteilen. Zudem werden die variablen Lohnanteile der Top-Manager oft mit Aktien entschädigt, die so dreifach verdienen - durch den Lohn, die Dividende und mögliche Kursgewinne. Arbeit wird umso grosszügiger entschädigt, je grösser der soziale Stellenwert, je grösser die Führungsspanne und je seltener die Kompetenzen einer Arbeitskraft sind. Ausbildung erhöht nicht nur den Lohn, sondern auch das Kapital und hat so letztlich doppelte finanzielle Konsequenzen. Durch Innovationen werden am Markt Innovationsrenditen erzielt: Die Innovationskraft erlaubt es, Produkte wesentlich über dem Produktionspreis zu verkaufen. Auch diese Innovationsrendite ist ungleich verteilt. Von einer Erfindung wie dem Ipad profitieren nicht die vielen chinesischen Arbeiterinnen, sondern die Manager in den USA sowie die Aktionäre.

Die globale Elite feiert sich selbst und sorgt durch die Regulierung des Zugangs zu exklusiven Netzwerken und exklusivem Wissen dafür, dass der Abstand zu den Unvermögenden bestehen bleibt.

Für den Zugang zum Kapital spielt es natürlich auch eine Rolle, ob man in einem Zentrum Westeuropas oder in den Slums von Indien geboren wird. Die Trennlinie des Kapitals ist deshalb nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen Staaten zu verstehen. Auch Staaten sind Aktionäre, die über unterschiedlich viel Kapital verfügen. Das Kapital ist wesentlich mobiler als die Arbeit. Es bewegt sich dorthin, wo gute Geschäfte zu erwarten sind. Um Kapital von A nach B zu bringen, genügt heute ein Mausklick. Globale Mobilität heisst nicht, dass sich die Kapitalisten unter das Volk mischen. Vielmehr bringen die Kapitalisten eine ortlose globale Welt hervor, in der eigene Regeln und strenge Barrieren bestehen. Zugang zu diesen globalen Netzwerken erhält nur, wer über das entsprechende Kleingeld verfügt oder aufgrund zukünftig zu erwartenden Gewinne genügend interessant erscheint. Die globale Elite feiert sich selbst und sorgt durch die Regulierung des Zugangs zu exklusiven Netzwerken und exklusivem Wissen dafür, dass der Abstand zu den Unvermögenden bestehen bleibt.

Das Segment der Gekauften

Wer über das Kapital verfügt, kann in einer vom Wert der Aktien getriebenen Wirtschaft auch über die langfristigen Ziele und die Strategien des Unternehmens bestimmen. Diese werden in der Regel finanzieller Natur sein, weil die Kapitalisten weniger an guten Taten, als vielmehr am langfristigen Überleben des Betriebs und möglichst hohen Renditen interessiert sind. Der profitorientierte Aktionär wird die Produktionsbedingungen so wählen, dass möglichst viel Profit resultiert. Das schliesst das Drücken der Löhne ebenso ein, wie das Ersetzen von Maschinen durch Menschen, falls dies die Kosten senkt oder den Ertrag erhöht. Die Profitorientierung ist deshalb mit ein Grund, warum Arbeitsplätze verschwinden. Auch die Einführung von Mindestlöhnen kann diese Entwicklung begünstigen, weil Manager so versucht sind Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Die Automatisierungsdividende ist wiederum ungleich. Vom Senken der Produktionskosten profitieren vor allem die Besitzer und das Top-Management.

Die Macht des Kapitals bedeutet letztlich, dass Mitarbeitende mit wenig Lohn, schlechten Arbeitsbedingungen und wenig Mitspracherecht die Grundlagen für den Wohlstand der Reichen schaffen. Plakativ ausgedrückt: Schlecht bezahlte Arbeit ermöglicht gut bezahlte Arbeit. So basiert die hohe Qualität der Infrastruktur einer Gesellschaft auf der Arbeit zahlreicher fleissiger Arbeiterinnen und Arbeiter im Hintergrund. Einfache Arbeiterinnen sind die Sklavinnen der Gegenwart. Allerdings befällt die Lust auf hohe Renditen nicht nur die Superreichen. Alle die Teil des kapitalistischen Systems sind, haben durch ihre Vorsorgen und Ersparnisse ein Interesse an Kapitalgewinnen. Wer möchte nicht seine Rente sichern, wer möchte nicht lieber 20% statt 1% Rendite auf seinen Ersparnissen? Wir alle sind zu Kapitalisten gewonden. Die Gekauften spielen deshalb das Spiel der Mächtigen mit, ohne sich gross zu wehren, denn eine Änderung der Spielregeln könnte ja auch zu ihren Lasten gehen.

Die Kapitalisten sorgen dafür, dass die soziale Mobilität nicht zu gross wird, denn Aufsteiger könnten ihnen gefährlich werden und ein ebenso grosses Stück am globalen Wohlstandskuchen fordern.

Hochqualifizierte, Innovatoren und Besitzer seltener Fähigkeiten können ebenso wie Kapitalisten ihre Heimat rasch wechseln. Sie haben das nötige Kleingeld und die nötigen Beziehungen, um rasch eine neue Heimat und neue Arbeit oder Investionsgelegenheiten zu finden. Das gilt umso mehr, wenn sie einer Arbeit nachgehen, die überall in der Welt gefragt ist oder die man von irgendeinem mit dem Internet verbundenen Computer erledigen kann. Diese globale Elite bewegt sich in einer kapitalistischen Kultur, die in New York, Dubai, Tokio und Zürich überall gleich aussieht und nach denselben Regeln und Werten funktioniert. Die einfachen Arbeitenden sind dagegen aufgrund ihrer Fähigkiten und Aufgaben an einen Ort gebunden. Diese Einschränkung der Mobilität gilt auch in Bezug auf die sozialen Aufstiegschancen. Die Kapitalisten sorgen dafür, dass die soziale Mobilität nicht zu gross wird, denn Aufsteiger könnten ihnen gefährlich werden und ein ebenso grosses Stück am globalen Wohlstandskuchen fordern.

Über die Verteilung von Kapitalisten und Gekauften

Bei der zukünftigen Verteilung des Kapitals spielt das Matthäus-Prinzip eine zentrale Rolle: „Wer hat, dem wird gegeben“. In Bezug auf die Verteilung des Kapitals besagt es, dass die Reichen immer reicher werden, während die Armen gleich arm bleiben oder sogar noch ärmer werden. Durch die Renditen auf dem Kapital, der Innovation, der Bildung und der Automatisierung vergrössert sich der Abstand zwischen den tiefsten und den grössten Einkommen sowie zwischen dem tiefsten und dem höchsten Vermögen. Das Entstehen von Megakonzernen begünstigt die Konzentration von Macht, Vermögen und hohen Einkommen. Aus dem Mätthäus-Prinzip folgt, dass die Grenzen zwischen den sozialen Schichten stabiler werden und die Mobilität zwischen den Klassen eingeschränkt wird. Die Verteilung der Einkommen und Vermögen definiert soziale Gemeinschaften, die wiederum über die Qualität der Netzwerke entscheiden. Je mehr die Netzwerk in exklusive Kreise führen, desto lukrativer ist die verfügbare Arbeit.

Je grösser die Unterschiede zwischen den Verfügenden und Gekauften, je undurchlässiger die sozialen Schichten, je schlechter der Bildungszugang für die Unprivilegierten, desto grösser wird der Ärger der Gekauften. Je besser dieser Ärger organisiert wird, desto grösser wird die Gefahr für die Kapitalisten. Neben terroristischen Akten oder die Manipulation der Börse könnten die Gekauften streiken oder die Produkte und Dienstleistungen der Kapitalisten boykottieren und so einen ökonomischen Stillstand provozieren. Diese Gefahr besteht in nationalen Dimensionen, natürlich sind aber auch globale Streiks denkbar, bei denen Staaten andere durch das Zurückhalten von Vorleistungen, Rohstoffen oder Energien erpressen. Die Kapitalisten werden deshalb darum bemüht sein, gar keinen Ärger aufkommen zu lassen. Das gelingt am besten, indem die Menschen strategisch (nicht) informiert werden, durch schöne Konsumwelten verführt oder in unterhaltsamen Simulationen gefangen werden. Konsumenten und Mitarbeitende haben dann das subjektive Gefühl, in der besten aller Welten zu leben, freilich ohne die Welt anderer Schichten oder die verstärkenden Machtmechanismen zu kennen.

Steuern sind das wichtigste und wirkungsvollste Instrument, um Kapital umzuverteilen. Damit es wirklich zu Umverteilung kommt, braucht es progressive Steuern, die jene besonders jene treffen, die viel Einkommen und Vermögen haben. Konkret geht es nicht um diejenigen, die pro Jahr mehr als 100.000 Franken verdienen, sondern um diejenigen globalen 1%, die durch ihr Kapital über den Rest der 99% herrschen. Durch die Besteuerung von Erbschaften, Mobilität und Konsum kommt es zu sozialer Umverteilung. Je progressiver die Einkommens- und Vermögenssteuern gestaltet sind, desto mehr wird umverteilt. Durch die Digitalisierung der Finanzströme tun sich neue Möglichkeiten der Besteuerung auf. Es wäre denkbar, jede Transaktion an der Börse, jede ausgestellte Rechnung oder auch jedes Bankkonot automatisch zu besteuern. Umverteilung verbessert die soziale Mobilität und wirkt so langfristig auch der Gefahr von Gewalt und Terrorismus entgegen. Im globalen Zusammenhang stellt sich die Frage, wo die Megakonzerne angesiedelt sein werden, und welche wirtschaftliche Kriegsmacht (z.B. Daten, Monopole, Zinsen) sich daraus ergibt.

Trennlinie 8: Nationalität der Arbeit

Inländische vs. ausländische Arbeitende

Eine letzte Trennlinie gewinnt dann an Bedeutung, wenn gleichzeitig die globalen Wanderbewegungen grösser, die nationale wirtschaftliche Lage schlechter und der Nationalismus stärker werden. In einem sich verschärfenden Wirtschaftskrieg um Daten und Ideen etabliert sich ein soziales Klima, in dem man dem Fremden misstraut und befürchtet, dass inländische Arbeitsplätze durch Ausländer weggenommen werden. Je weniger Arbeitsplätze es zu verteilen gibt, desto wahrscheinlicher wird eine nationale Abschottung. Eine Erstarrung des Nationalen bedeutet eine Angst vor und folgliche Feindlichkeit gegenüber fremden Werten und Religionen.

Das Segment der inländischen Arbeitenden

Ein globaler Wirtschafts- und Datenkrieg begünstigt ein Szenario, in dem die Nationalität der Mitarbeitenden eine trennende Rolle spielt. Die Wirtschaft würde sich nach Jahrzehnten der Globalisierung vom Ausland abschotten. Es würden so wenig Güter wie möglich importiert, wobei mit Gütern auch Arbeitskräfte gemeint sind. In Folge einer neue Welle des Protektionismus werden die Arbeitsplätze für inländische Mitarbeitende geschützt. Je sichtbarer die Arbeit der Betroffenen, desto unlieber würde man auf ausländische Arbeit zurückgreifen. Umgekehrt würde die Kontrolle umso nachlässiger, je weiter unten sich eine Stelle in der sozialen Pyramide befindet. Das gilt auch, weil die sozial Stärkeren durch (Mikro)-Politik und Geld ihre Stellen besser schützen können. Der Schutz wird dort verstärkt, wo eine Auswirkung der Arbeit auf die nationale Identität erwartet wird. Konkret betrifft dies Top-Positionen in Management, Verwaltung und Wissenschaft.

Im Zentrum der Abschottung steht die Angst vor Arbeitsplatzverlusten. Die zu verteilenden Stellen sollen möglichst im Inland bleiben, um möglichst wenig Inländer in die Arbeitslosigkeit zu treiben. Die Verlagerung von kriegerischen Aktivitäten hin zum Kampf um Wachstum, Ideen und Daten forciert die wirtschaftliche Abschottung. Je mehr das eigene Wirtschaftssystem durch fremde Infrastruktur und fremde Mitarbeitende geprägt ist, desto grösser wird die Gefahr von Abhängigkeit, Terrorismus und Spionage. Deshalb wird man versuchen Schnittstellen zum Ausland zu verhindern. Zum Beispiel sind heute fast alle Länder im Bereich der – in der Zukunft noch wichtigeren digitalen Infrastruktur – stark von den USA abhängig (Facebook, Apple, Microsoft, Dropbox, Google, etc.). Eine nationale Abschottung hätte deshalb die Relativierung von empfindlichen Abhängigkeiten (z.B. Landwirtschaft, Energie, Wissenschaft, digitale Infrastruktur) zum Ziel. Das würde den Aufbau von eigenen nationalen Strukturen voraussetzen.

Ein solcher Neo-Protektionismus könnte soweit gehen, dass sämtliche Maschinen und Algorithmen aus dem Ausland verboten werden – um ausländische Einflüsse zu verhindern, Spionage zu vermeiden und neue Abhängigkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Umgekehrt würde inländischen Spitzenforschern und Innovatoren die Ausreise verboten, um einen Braindrain und die Stärkung des ausländischen Feindes zu verhindern. Der Protektionismus könnte sich soweit ausweiten, dass eine Regierung bewusst einen technologischen Rückstand beziehungsweise ökonomischen Nachteil in Kauf nimmt. Die nationale Abschottung führt zwangsläufig zur Entkoppelung vom globalen Wettbewerb und damit in die Isolation. An die Stelle von global kompatiblen Systemen würden nationale Sonderlösungen treten. Obwohl diese Entkoppelung die Möglichkeit zur Errichtung alternativer Wirtschaftssysteme bieten würde, ist es doch wahrscheinlicher, dass sich Diktaturen formieren, die unter einem rückläufigen materiellen und immateriellen Wohlstand leiden.

Der Neo-Protektionismus könnte soweit gehen, dass sämtliche Maschinen und Algorithmen aus dem Ausland verboten werden.

Das Segment der ausländischen Arbeitenden

Ausländische Mitarbeitende wären in einem solchen Szenario unerwünscht, würden aber zum Zuge kommen, wenn Arbeiten anfällt, die keine Inländer erledigen wollen. Zu denken ist an entwürdigende, körperlich sehr anstrengende oder sehr repetitive Arbeit, die auch in Zukunft nicht von einem Roboter erledigt werden kann. Der daraus resultierende Markt am Rande der Legalität entspräche quasi einem zweiten Arbeitsmarkt, auf dem andere Regeln gelten und die Preise für die Arbeitskräfte massiv gedrückt würden. Auf ausländische Mitarbeitende würde auch dann zurückgegriffen, wenn Stellen aufgrund eines Kompetenzmangels nicht mit Inländern besetzt werden können. Diese Notfälle würden mit Sonderregelungen erledigt. Beispielsweise würde eine nationale Abschottung hohe militärische Kompetenz voraussetzen, die man im Notfall mit ausländischem Wissen sicherstellt. Das könnte heissen, dass es zu einer neuen globalen Blockbildung von verbündeten Staaten kommt, die sich technologisch gegenseitig aushelfen.

Die Ausgrenzung von ausländischen Mitarbeitenden begünstigt einen Schwarzmarkt, auf dem Ausländer ihre Arbeit illegal anbieten. Je grösser die ökonomischen Differenzen zwischen den Staaten sind, und je mehr ausländerfreundliche Staaten es in einem Kontext nationalistischer Staaten gibt, desto grösser wird der Migrationsdruck in Länder mit hohen Löhnen und liberaler Gesetzgebung. Der Schwarzmarkt blüht dann auf, wenn Ausländer eine selten erhältliche Arbeit anbieten können oder aber eine austauschbare Kompetenz viel billiger anbieten als die Inländer. Einheimische Unternehmen sind dann im Sinne der Innovation oder der Reduktion von Kosten verführt, trotz Verboten und möglichen Bussen auf ausländische Mitarbeitende zurückzugreifen. Auch für Güter, die aufgrund ihrer ausländischen Herkunft unerwünscht sind, würde ähnlich dem heutigen Drogenmarkt, ein illegaler Handel entstehen.

Ausländische Mitarbeitende würden am Rande der Gesellschaft leben, weil sie entweder unbeliebte Arbeiten verrichten, die tief entlöhnt sind oder aber einer Arbeit nachgehen, der sie eigentlich gemäss der nationalen Gesetzgebung nicht nachgehen dürften. Den Ausländerinnen würden sowohl das Geld als auch die Zutrittsrechte für das Leben in der Gesellschaft der Inländer fehlen. Es entstehen Siedlungen, die nicht nur örtlich ausserhalb der Gesellschaft stehen. Regierungen wären darum bemüht, diese Ghettos zu verschweigen und aus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verbannen. In den Siedlungen wäre die Selbstjustiz nur schwer zu beschränken, weil sich weder Justiz noch Polizei für die inneren Angelegenheiten dieser Parallelgesellschaften interessieren. Um nicht Opfer von Gewalt und Manipulation der Ausgegrenzten zu werden, müssten sich die Inländer mit rigiden Kontrollen und massiven Schutzvorkehrungen abgrenzen.

Über die Grenzen von Inländern und Ausländern

Nationalistische Szenarien sind in Zukunft nur denkbar, wenn es zu einer Ent-Globalisierung der Konzerne kommt. Denn Konzerne denken nicht in Nationalitäten sondern in Geldeinheiten. Sie profitieren nicht davon, wenn die Ressourcen- und Absatzmärkte künstlich verkleinert werden. Das einzige Szenario bei dem sie wirklich profitieren ist, wenn Konzerne verstaatlicht oder künstlich fusioniert werden, um auf nationalen Märkten Monopole herzustellen. Die neuen Monopole müssten aber grösser als die bisherigen globalen Märkte sein, um die Konzerne von einer nationalistischen Lösung zu überzeugen. Um die nationalen Grenzen durchzusetzen, brauchen die Staaten zunächst einmal ihr Justizsystems. Durch die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern ist das Problem schnell gelöst. Bei Bedarf nach Fachkräften würde man wie heute Fussball-Clubs Transfers tätigen. Wer aber gegen die nationalen Verbote der ausländischen Arbeit verstösst, wird bestraft. Die Strafen reichten je nach Ausmass der Diktatur von Busse bis zu Ausweisung und Ermordung.

Es stellt sich die Frage, ob durch das Internet nicht neuartige Staaten entstehen – jenseits von heutigen geographischen Grenzen. Diese Internetstaaten könnten sich als virtuelle Staaten verstehen oder irgendwann den Umzug auf fahrende Inseln oder Raumstationen in Erwägung ziehen.

Weil heute immer mehr Arbeit ohne physische Präsenz der Mitarbeitenden möglich ist und über das Internet importiert wird, wären Abgrenzungsmassnahmen im digitalen Raum nötig. Es reicht in einem Kontext der globalen digitalen Wissensgesellschaft nicht mehr, Grenzen zu errichten und alles ausländische abzufangen. Die Staaten würden auf dem Errichten von digitalen Grenzen bestehen. Je nach Konsequenz der Ausgrenzung würden die Grenzen zwar durchlässig, aber die Durchreise von Daten mit hohen Zöllen bestraft. Oder aber die digitalen Barrieren würden geschlossen, was faktisch zur Errichtung von verschiedenen Internets führen würde. Bereits heute gibt es Staaten (Iran, Nordkorea), die an der Errichtung von unabhängigen Internets (Stichwort Halal-Internet) arbeiten. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob durch das Internet nicht neuartige Staaten entstehen, jenseits von heutigen geographischen Grenzen. Diese Internetstaaten könnten sich als virtuelle Staaten verstehen oder irgendwann den Umzug auf fahrende Inseln oder Raumstationen in Erwägung ziehen.

Interessanterweise würde die nationale Abschottung die zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze wesentlich erhöhen. Einerseits weil Ausländerinnen und Ausländer aus den Arbeitsmärkten gedrängt würden aber auch weil die nationale Abschottung den Aufbau von neuen Wirtschaftszweigen erforderlich machen würde, bei denen heute Abhängigkeiten vom Ausland bestehen. Die nationalistischen Diktaturen würden Gefahr laufen, aufgrund der fehlenden externen Einflüsse wirtschaftlich stehenbleiben oder zu verrotten. Es bestünde ein soziales Klima des Misstrauens, Wirtschaft und Verwaltung wären geprägt von Korruption. Je mehr die ausländischen Mitarbeitenden ausgegrenzt würden, desto stärker würde die Gefahr von terroristischen Handlungen. Diese sind in einem Zeitalter der digitalen Wissensgesellschaft am wirksamsten, wenn sie auf die Zentren der (digitalen) Infrastruktur und Mobilität zielen. Symbolische Ziele eignen sich besonders, um durch Gewalt auf Probleme aufmerksam zu machen und so Veränderungen zu provozieren.

Fazit: Die politische Verantwortung

Die Trennlinien der künftigen Arbeitswelt sind vielfältig, gehen aber in den Diskussionen von Expertinnen und Polikerinnerin häufig unter. Es findet in erster Linie eine elitäre Auseinandersetzung mit der Zukunft der Wissensarbeit statt, in der man sich über die Räumlichkeiten, Verträge und Organisationsformen der hochqualifizierten Wissensarbeit Gedanken macht. Als Lösung für allfällige Probleme wird nur eine einzige Lösung angeboten: Wachstum.

Jenseits dieser Glitzerwelt bestehen viele offene Fragen zur Zukunft der Arbeit, die sich am besten mit Trennlinien fassen lassen. Durch politisches Handeln werden die Trennlinien verstärkt, verhindert oder relativiert. Politisch handeln kann eine Gesellschaft indes nicht nur durch Wahlen und Abstimmungen. Noch wichtiger sind die alltägliche Mikro-Politik im Unternehmen, die Nutzung des Konsums als politischer Akt oder die Verwendung der neuen digitalen Plattformen für die politische Diskussion und Meinungsbildung.

Um die Trennlinien zu relativieren, gibt es verschiedene Instrumente. Steuern, die Zugänge und Design des Bildungssystems, die Konzeption der sozialen Sicherungssysteme, die Gestaltung des Eigentumsrechts und die Migrationspolitik sind die wichtigsten staatlichen Stellschrauben. Unternehmen können durch Personalentwicklung, die Definition der Mitspracherechte, die Entlöhungspolitik, die Verteilung der Anteile, die Verflachung der Hierarchien den unterschiedlichen Spaltungen entgegenwirken.

Die Wirkung und damit die Macht der Maschinen und Algorithmen nimmt exponentiell zu. Das könnte auch heissen, dass die Verdrängung von menschlicher Arbeit exponentiell zunimmt. Bereits die Möglichkeit, dass dies einst zutreffen könnte, zwingt uns als Gesellschaft zur Auseinandersetzung mit der Frage, in welcher Gesellschaft wird einst nach dem System der Erwerbsarbeit leben wollen. Es wäre gewiss ein System mit neuen sozialen Sicherungssystemen, weniger Hierarchien, weniger sinnloser Arbeit und neuartigen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft.

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