Betrachten wir die Plattformen dagegen aus der Sicht des Arbeitens bieten sie uns Möglichkeiten, um unsere Fähigkeiten in einer ökonomischen Zweck-Gemeinschaft einzubringen. Wie gut eine Plattform gedeiht, hängt wesentlich davon ab, wie gut es ihr gelingt, Angebote und Fähigkeiten miteinander zu verknüpfen.
Die angestrebte Wertschöpfung gibt vor, welche Fähigkeiten gebraucht werden. Durch die hohe Dynamik der digitalen Transformation können sich sowohl die Bedürfnisse als auch die benötigen Fähigkeiten rasch ändern. Eine weitaus grössere Konstanz ist bei den Beziehungen einer Plattform gefragt. Denn im Kontext einer vernetzten aber volatilen Welt entscheiden die Beziehungen zu Kundinnen und Know-How-Lieferanten über das langfristige Bestehen der Plattform.
Die Dominanz der Plattformen in der künftigen Wirtschaft folgt aus der gestiegenen technischen und sozialen Vernetzung. Sie entstehen überall dort, wo die Verbindungen der Netzwerke (also die Beziehungen, Kanäle, Prozesse) zusammenlaufen. Entsprechend bilden sie auch die neuen Sozial-, Kreativ-, Wissens-, Produktions-, Verteilungs- und damit Machtzentren. Netzwerke überwinden die prägenden wirtschaftlichen Strukturen des 20. Jahrhunderts, insbesondere Unternehmen, Hierarchien, Organigramme und Berufe. Es kommt zu einem Abbau von Bürokratie, Führungskräfte werden durch das Prinzip der Selbstorganisation verdrängt. Je stärker die digitale Transformation wirkt, desto mehr wird die Plattform zu einer Mensch-Maschinen-Symbiose. Roboter, Drohnen und Anwendungen der künstlichen Intelligenz werden in den wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess integriert. Natürlich sind die Plattform technologische Gebilde. Doch die Plattform ist im Sinne des Ökosystems ebenso ein physischer und kultureller Raum, wo Menschen zusammenfinden.
Im Management der Plattform kommt es zu Inversion, also zu einer Umkehr von innen und aussen. Was früher ausserhalb der Organisation war, ist nun Teil der Plattform und was im Unternehmen war, befindet sich nun ausserhalb der Plattform.
Die Plattformen reorganisieren die wirtschaftliche Wertschöpfung, dabei wirken sie zentralisierend und dezentralisierend zugleich. Zentralisierung ist den Netzwerk-Effekten geschuldet. Diese beschreiben, wie der Nutzen eines Netzwerks exponentiell ansteigt, wenn neue Mitglieder beitreten. Jeder neue Knoten im Netzwerk ermöglicht zahlreiche neue Verbindungen. Damit steigt auch die wirtschaftliche Macht der Plattformen mit jeder neuen Nutzerin – nicht zuletzt durch die anfallenden Daten. In allen Märkten setzen sich im Sinne des „Winner Takes It All“-Prinzips die dominierenden Player durch. Sie werden zu zentralen Instanzen im Netz mit grossen Wechselhürden und Lock-In-Effekten. Die tiefen Eintrittsbarrieren digitaler Märkte machen es möglich, dass die disruptiv wirkenden Plattformen aus einer fremden Branche stammen. Ganz im Sinne des Netzwerks sind jedoch alle Plattformen auf zuliefernde Start Ups, freischaffende Mitarbeitende und Plattformen aus anderen Märkten angewiesen. Das Ökosystem ist immer Teil eines noch grösseren Systems. Dezentralisierung meint die von den Plattformen erhöhte Freiheit zu kaufen, zu arbeiten und zu denken. Allerdings gilt dies nur so lange, wie man sich an deren Spielregeln hält.
Im Management der Plattform kommt es zu Inversion, also zu einer Umkehr von innen und aussen. Was früher ausserhalb der Organisation war, ist nun Teil der Plattform und was im Unternehmen war, befindet sich nun ausserhalb der Plattform. Zur Einlagerung kommt es durch eine umfassende Kundenzentrierung, wenn Kunden zu Designern der Angebote und Prozesse werden. Zudem sollen diese virale Effekte auslösen und damit Teile des Marketings übernehmen. Schliesslich wird der Vertrieb samt Intermediären eingelagert und auf der Plattform abgewickelt. Auslagerung dagegen passiert durch den Verzicht auf Anlagevermögen und die Reduktion der Fixkosten. Uber besitzt keine Taxis, AirBnb keine Hotelzimmer. Die Sharing Economy favorisiert zudem die gemeinsame Nutzung von Investitionsobjekten – zum Beispiel von teuren jedoch selten genutzten Maschinen. Ein wesentlicher Teil der Fixkosten sind die Personal- und Raumkosten. Arbeitsverträge werden deshalb tendenziell zu Projektverträgen. Die Plattform ist keine Arbeitgeberin, sie ist eine Potenzialmoderatorin. Folglich verliert der Ort der Arbeit an Bedeutung, die Diversität der Arbeitsverhältnisse (zwischen Festanstellung und Selbständigkeit) steigt.
Die Inversion der Organisation verändert das Selbstverständnis von HR. Die wichtigste Veränderung liegt in der Erweiterung der Personenkreise, deren Fähigkeiten, Ideen und Netzwerke eine Rolle spielen. Die Potenzialträger befinden sich häufig ausserhalb der Organisation, unter Umständen weit entfernt. Gleichzeitig bedeutet die Inversion eine Relativierung des Arbeitsorts. Die Plattform ist eher ein Hub, wo sich Menschen vernetzen und Ideen entwickeln als ein Bürogebäude, in dem Mitarbeitende jeden Tag am selben Ort derselben Arbeit nachgehen. Durch die Transformation vom Unternehmen zur Plattform kann es zu Personalabbau im grossen Umfang kommen – weil die Fixkosten reduziert werden sollen, durch das Prinzip der Selbstorganisation das mittlere Management abgebaut wird, Maschinen menschliche Arbeiten übernehmen und möglicherweise ganz neue Fähigkeit gefragt sind. Die von UBS Chef Ermotti eingebrachte Idee einer gemeinsamen Abwicklungsplattform für alle Schweizer Banken verweist sowohl auf die Plattformlogik als auch auf die fast logische Folge des Stellenabbaus. Fixkosten auszulagern heisst schliesslich aus HR-Sicht, die Verantwortung für die fachliche Weiterbildung und das Wissensmanagement an die Mitarbeitenden zu delegieren.
In der Plattformwirtschaft ist es die primäre Aufgabe von HR, das Ökosystem aufzubauen, zu pflegen, zu vermessen und weiterzuentwickeln. Zu diesem gehören die Menschen, die Maschinen, die Räume, die Visionen und sämtliche Beziehungen, die sich daraus ergeben. Die Elemente wirken gegenseitig auf sich ein, Investitionsentscheide sind folglich ganzheitlich zu treffen. Das Management des Ökosystems schliesst an die Überlegungen zur Gestaltung und Weiterentwicklung des Geschäftsmodells an. Aus Ressourcensicht gilt es, die richtigen Fähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt zu binden und dabei die Potenziale der Beteiligten möglichst gut zu nutzen. Gefragt ist eine Arbeitswelt, in der man seine Wissensnetzwerke und Beziehungsnetze entfalten kann. In der Logik der Hypervernetzung gelingt dies am besten durch eine Steigerung der technologischen, sozialen und ökonomischen Vernetzung der Arbeitswelt. Dabei kommen die Potenziale am besten zur Geltung, wenn die Mitarbeitende selbstreflektiert sind sich authentisch mit ihren Stärken und Eigenarten einbringen können.
Wie aber kann HR etwas zum Gedeihen des Ökosystems beitragen? Wie kann HR anders ausgedrückt die Transformation zur Plattform unterstützen und eine möglichst grosse Wertschöpfung erbringen?
Wenn das Unternehmen zur Plattform wird, dann gilt dies auch für HRM. Wie jedes andere thematische Cluster einer Organisation ist es ein Ökosystem im Ökosystem (das wiederum Teil von Ökosystemen ist). Die Netzwerkwirtschaft zeichnet sich durch Fraktale aus, wobei das Grössere stets Teil des Kleineren ist. Grundlage der Vernetzung ist Selbstähnlichkeit, die letztlich auf einer Ähnlichkeit der Identitäten beruht. Menschen mit ähnlichen Identitäten, also Interessen und Werten organisieren sich selbst. Dabei ist die veränderte Konstruktion von Identität in einem Kontext kürzer werdenden Lebenszyklen zu beachten. Die Beziehungen, mit denen Individuen und Organisationen ihre Identitäten hervorbringen, werden kürzer, situativer und flüchtiger.
Das Selbstverständnis von HR als Plattform erfordert eine HR-Plattform im engen Sinne. Diese etabliert das Prinzip des HR as a Service und lagert damit wenig wertschöpfende Tätigkeiten ganz im Sinne der Inversion aus. Die HR-Plattform ist ein digitaler Ort, wo sämtliche HR-Dienstleistungen sichtbar sind von den Mitarbeitenden per Klick erledigt werden können. Das setzt eindeutige Ansprechpersonen voraus. Man soll sofort erkennen, an wen man sich bei welchen Fragen wenden kann. Einfache Aufgaben wie die Erfassung von Spesen oder Zeit können per Smartphone erledigt werden. Auch HR-Controlling wird je länger je mehr ein digitaler Service werden. Führungskräfte können sich selbständig durch die für sie relevanten HR-Kennzahlen klicken.
Die Funktionen von HR sind wichtiger als die Institution HR. HR ist also ein Netzwerk wobei durch die Inversion HR-Funktionen von Führungskräften und Mitarbeitenden selbst wahrgenommen werden. Dies verlagert die Rolle von HR Richtung Analyse, Beratung, Think Tank und Hilfe zur Selbsthilfe. Tendenziell wird dies einen Skill-Shift in die Richtung höherer Qualifikationen auslösen, zumal auch in HR künstliche Intelligenz eine grössere Rolle spielen wird. Um sich selber als Plattform weiter entwickeln zu können, machen Run and Change-Strukturen Sinn. Im Run-Modus wird das Tagesgeschäft erledigt, im Change-Modus das Selbstverständnis verändert. Der Change Modus wird am besten durch Power Teams aufgesetzt, die in Sprints Lösungen zu Trend-Themen erarbeiten. Inversion bedeutet häufiger mit Externen zusammenzuarbeiten.
Eine wesentliche Veränderung im Vergleich zum heutigen Verständnis, vollzieht HR dann, wenn es beginnt seine Aufgaben unternehmensübergreifend zu denken. In einer Plattform-Wirtschaft macht es insbesondere wenig Sinn, das Staffing und die Förderung der Potenziale (Personalentwicklung, Laufbahndesigns) auf das eigene Unternehmen zu beschränken. Mono-Lösungen sind teuer und nutzen die Synergieeffekte nicht, wenn mehrere Unternehmen zusammenarbeiten. Viel eher geht es darum, mit den richtigen Unternehmen wirkungsvolle Partnerschaften zu schliessen, damit beide Unternehmen ihre Ökosysteme weiterentwickeln können. Die Zusammenarbeit macht auch aus Sicht der Mitarbeitenden Sinn – haben diese doch plötzlich eine grössere und vielseitigere Plattform als Gegenüber, auf der sie ihre Potenziale entfalten können.